Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

624 V. 8. Der Vereinigte Landtag. 
erlegt, der seine Krone der Revolution, dem Willen des britischen Volkes 
verdankte, während die Preußen einem legitimen, absoluten Könige gegen— 
überstanden, der sich soeben erst freiwillig großer Machtbefugnisse ent— 
äußert hatte. Die Briten verteidigten uralte, oft ausgeübte, durch Bür— 
gerkrieg und schweren parlamentarischen Kampf immer wieder errungene 
Rechte; Vincke vermochte sich nur auf die dürftigen, unzusammenhängen— 
den, noch niemals ausgeführten Verheißungen der leichtfertigen Harden— 
bergischen Gesetzgebung zu berufen. Darum war die englische Erklärung 
der Rechte eine weltgeschichtliche Tat, der Versuch, sie in Preußen nach- 
zubilden, fiel platt zur Erde. Wer unparteiisch draußen stand, konnte sich 
für diesen zweifelhaften Rechtsboden nicht leicht begeistern. Sogar Stüve, 
der zähe Verteidiger des strengen Rechts, fand in den Reden und Schrif- 
ten der unbedingten preußischen Opposition viel „Wortklauberei und 
Advokaten-Hokuspokus“, er spottete über „die eminenten Rechte, die 
man zu besitzen sich einbilde“. ) Im Landtage verweigerten selbst Becke- 
rath und Schwerin ihre Unterschrift zu dem seltsamen Aktenstücke, das in 
langer Reihe abgerissene Stellen der älteren Gesetze aufzählte. Nur 
138 Abgeordnete unterzeichneten, fast drei Viertel davon waren Rhein- 
länder oder Ostpreußen. Der Einmut also, der solchen Gewissensver- 
wahrungen doch allein Nachdruck gibt, fehlte gänzlich; und als die Herren- 
kurie sich weigerte, in die Beratung einzutreten, da mußte die Er- 
klärung der Rechte stillschweigend zurückgezogen werden. Vincke hatte 
zum ersten Male bewiesen, wie wenig er eine Partei zu leiten verstand. 
Sobald der Landtag nunmehr in die Geschäfte eintrat, fühlte er sich 
auf jedem Schritt durch juristische Bedenken gehemmt, da er nicht wußte, 
ob er sich selbst als die verheißene Landesrepräsentation ansehen sollte, 
und der offene Kampf brach aus, als die Regierung den Ständen zwei- 
mal die Übernahme finanzieller Verpflichtungen zumutete. Sie ver- 
langte zunächst die ständische Garantie für die neuen Landrentenbanken, 
welche die Ablösung der grundherrlichen Lasten erleichtern sollten. Sach- 
liche Bedenken gegen dies verständige Gesetz hegte nur ein kleiner Kreis 
konservativer Grundbesitzer, der die Berechtigten durch die Ablösung zu 
schädigen fürchtete; den Finanzen drohte auch keine Gefahr, da die Land- 
rentenbriefe ja der Sicherheit erster Hypotheken genossen. Unlösbar aber 
schien wieder die Rechtsfrage. Vincke eiferte: wie dürfen wir das Land 
mit neuen Verpflichtungen belasten, solange der Vereinigte Landtag nicht 
regelmäßig die Lage des Staatshaushalts prüft, und die Regierung ohne 
unser Wissen Schulden aufnehmen kann? Zum Unglück wagte Bodel- 
schwingh, der fast allein, kaum unterstützt von den schweigsamen anderen 
Ministern, mit bewunderungswürdiger Geduld die Sache der Krone ver- 
trat, jetzt die unhaltbare Behauptung aufzustellen: eine Bürgschaft dürfe 
  
*) Nach der früher erwähnten handschriftlichen Biographie Stüves.
	        
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