G. Riesser. Der christliche Staat. 633
falschen Schein, als ob er die religiöse Duldung, den alten Ruhm Preußens
beeinträchtigen wollte. Und doch wurde die preußische Gesetzgebung den
Juden gegenüber schon seit anderthalb Jahrhunderten allein durch weltlich—
politische Gedanken bestimmt. Religiöse Skrupel waren es doch wahrhaftig
nicht, welche den königlichen Freigeist Friedrich bewogen, den Namen Moses
Mendelssohn von der Kandidatenliste der Akademie zu streichen; und wenn
der Staat gegenwärtig die Posener Schutzjuden nur unter gewissen Be—
dingungen naturalisierte, so verlangte er von ihnen doch durchaus keine
Verleugnung religiöser Gesinnungen, er forderte nur, daß sie sich durch
ehrliche Arbeit ernähren und die schwierige Kunst des Waschens und des
Kämmens nicht gänzlich verabsäumen sollten. Die Staatsgewalt nahm an,
und in der Regel mit Recht, daß ein Jude, sobald er sich taufen ließe,
damit auch die Absicht bekundete, ganz zum Deutschen zu werden; sie
glaubte, dies fremde, der Masse der deutschen Nation unzweifelhaft ver-
haßte Volkstum sei bisher in seiner Gesittung noch nicht genugsam germa-
nisiert, und man könne darum noch nicht wagen, christliche Deutsche unter
den Befehl jüdischer Beamten zu stellen. Um diese rein politische Frage
bewegte sich in Wahrheit der ganze Streit. Das Gesetz aber durfte die Juden
nur als eine religiöse Gemeinschaft ansehen, weil eine andere rechtliche
Grenze zwischen Deutschen und Juden sich ohne Willkür nicht feststellen
ließ. Darum stützten sich die Verteidiger des bestehenden Rechts auf die
Lehre vom christlichen Staate, die, wie geistvoll sie auch neuerdings in
Stahls Schriften vertreten wurde, doch die Rechtsbegriffe nur noch mehr
verwirren konnte. Denn so gewiß die Deutschen ein christliches Volk, ihr
ganzes Leben und mithin auch ihre Gesetze von christlichem Geiste durch-
drungen waren, ebenso gewiß war der deutsche Staat eine weltliche Ord-
nung, die ihren eigenen Rechts= und Machtzwecken lebte und alle religiöse
Tätigkeit grundsätzlich den Kirchen überließ. Überdies bestand das Christen-
tum rechtlich nur in der Form bestimmter Konfessionen, geschlossener
Kirchen, und da das paritätische Preußen keine Staatskirche kannte, so ver-
loren sich die Verteidiger des christlichen Staates in unbestimmte, allge-
meine Behauptungen, denen die Gegner mit ebenso allgemeinen Sätzen über
Menschenrecht und Menschenwürde antworteten. Auch allerhand häßliche
Nebenrücksichten spielten bei der Verhandlung mit; das Judentum hatte sich
in die moderne Gesellschaft schon so tief eingefilzt, daß eine rein sachliche
Behandlung der Frage längst nicht mehr möglich war. In der vornehmen
Welt wußte jedermann, daß manche der Grundherren im Landtage jüdische
Schuldknechte waren und ihre Abhängigkeit von den Berliner Bankiers, die
hinter den Kulissen geschäftig arbeiteten, doch nicht gern verraten wollten.)
So kam es, daß die lange Beratung über das Judengesetz nur wenig
fruchtbare Gedanken zu Tage förderte. Im Namen des Christentums
*7) Berichte von Knyphausen, 21. Mai, von Platen, 13. Juni 1847.