Verhandlungen der Vereinigten Ausschüsse. 647
gesetzbuchs war ein ernstes, wohldurchdachtes Werk; nur einzelne seiner
Bestimmungen mußten der Empfindung der Zeit allzu hart erscheinen,
so die Vorschrift, daß die Todesstrafe in gewissen Fällen durch das Ab-
hauen der rechten Hand und die Aufspießung des Kopfes verschärft werden
sollte. Die Rheinländer aber hielten an ihrem Code Napoleon, der im
Grunde weit strenger war, eigensinnig fest; ihr „Rheinischer Verein“
und ihre kleinen ultramontanen Blätter warnten einträchtig vor „der
Schimäre der Verbrüderung, der Zentralisation.“ Sie wollten nicht sehen,
daß es eine Schande war, wenn im Namen desselben Königs von Preußen
hier eine Tat für straflos, dort für verbrecherisch erklärt wurde; der
sittliche Wert eines gemeinsamen Strafgesetzbuchs blieb ihrem verbissenen
Provinzialtrotze ganz unfaßbar. In der Kölnischen Zeitung veröffentlichte
der geistreiche Bonner Jurist Ed. Böcking eine scharfe Kritik des Ent-
wurfs, eine Arbeit, die gewiß nicht partikularistisch gemeint war, aber die
Rheinländer in ihrem Widerstande bestärkte. Genug, das Gesetz wurde von
der liberalen Presse, die den Rheinländern immer nach dem Munde redete,
schon im voraus verlästert. Savigny hatte im Landtage nur sehr wenig ge-
sprochen, jetzt führte er die Sache der Krone fast allein und verteidigte
mit überlegener Ruhe Punkt für Punkt des verrufenen Gesetzes. Er
zeigte, daß nur eine „mißverstandene Humanität“ die Todesstrafe oder
die Prügelstrafe für Ehrlose bekämpfen könne; er erwies, daß Preußen als
ein Glied der großen christlichen Staatengesellschaft verpflichtet sei, auch
die im Auslande begangenen Verbrechen zu bestrafen — was die liberale
Sanftmut noch bestritt.
Als die Beratungen sich schon zum Ende neigten, kam plötzlich die
Nachricht von dem Ausbruch der Pariser Februar-Revolution. Mit einem
Schlage verwandelte sich die Welt, alle stillen Wünsche der letzten Jahre
gewannen augenblicklich Sprache, und es war nur menschlich, daß der Aus-
schuß nunmehr beschloß, das Strafgesetzbuch solle nicht eher verkündigt
werden, als bis der Vereinigte Landtag auch über die beabsichtigte Reform
des Strafprozesses beraten hätte. Schon der letzte Landtag hatte mit
gutem Grunde verlangt, das in Berlin bereits eingeführte öffentlich-münd-
liche Verfahren müßte der gesamten Monarchie zu teil werden. Jetzt
schien auch diese Forderung schon überwunden. Das Schwurgericht, das
so oft als Bollwerk der Volksfreiheit gefeierte, war in aller Munde, nur
durch Geschworene glaubte man die gerechte Handhabung des Strafgesetzes
sichern zu können. Savigny aber, der von dem nahenden Sturme noch
nichts bemerkte, mahnte bedachtsam: über den Wert der Schwurgerichte
gingen die Meinungen doch weit auseinander.
Auch der König ahnte noch nicht, daß eine neue Zeit gekommen war.
Er war zufrieden mit dem ruhigen Verhalten seiner Ausschüsse und schloß
sie am 6. März persönlich mit einer gnädigen Ansprache. Freudig kün-
digte er ihnen an: nachdem nunmehr allen seinen Befehlen genügt sei,