Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

Verhandlungen der Vereinigten Ausschüsse. 647 
gesetzbuchs war ein ernstes, wohldurchdachtes Werk; nur einzelne seiner 
Bestimmungen mußten der Empfindung der Zeit allzu hart erscheinen, 
so die Vorschrift, daß die Todesstrafe in gewissen Fällen durch das Ab- 
hauen der rechten Hand und die Aufspießung des Kopfes verschärft werden 
sollte. Die Rheinländer aber hielten an ihrem Code Napoleon, der im 
Grunde weit strenger war, eigensinnig fest; ihr „Rheinischer Verein“ 
und ihre kleinen ultramontanen Blätter warnten einträchtig vor „der 
Schimäre der Verbrüderung, der Zentralisation.“ Sie wollten nicht sehen, 
daß es eine Schande war, wenn im Namen desselben Königs von Preußen 
hier eine Tat für straflos, dort für verbrecherisch erklärt wurde; der 
sittliche Wert eines gemeinsamen Strafgesetzbuchs blieb ihrem verbissenen 
Provinzialtrotze ganz unfaßbar. In der Kölnischen Zeitung veröffentlichte 
der geistreiche Bonner Jurist Ed. Böcking eine scharfe Kritik des Ent- 
wurfs, eine Arbeit, die gewiß nicht partikularistisch gemeint war, aber die 
Rheinländer in ihrem Widerstande bestärkte. Genug, das Gesetz wurde von 
der liberalen Presse, die den Rheinländern immer nach dem Munde redete, 
schon im voraus verlästert. Savigny hatte im Landtage nur sehr wenig ge- 
sprochen, jetzt führte er die Sache der Krone fast allein und verteidigte 
mit überlegener Ruhe Punkt für Punkt des verrufenen Gesetzes. Er 
zeigte, daß nur eine „mißverstandene Humanität“ die Todesstrafe oder 
die Prügelstrafe für Ehrlose bekämpfen könne; er erwies, daß Preußen als 
ein Glied der großen christlichen Staatengesellschaft verpflichtet sei, auch 
die im Auslande begangenen Verbrechen zu bestrafen — was die liberale 
Sanftmut noch bestritt. 
Als die Beratungen sich schon zum Ende neigten, kam plötzlich die 
Nachricht von dem Ausbruch der Pariser Februar-Revolution. Mit einem 
Schlage verwandelte sich die Welt, alle stillen Wünsche der letzten Jahre 
gewannen augenblicklich Sprache, und es war nur menschlich, daß der Aus- 
schuß nunmehr beschloß, das Strafgesetzbuch solle nicht eher verkündigt 
werden, als bis der Vereinigte Landtag auch über die beabsichtigte Reform 
des Strafprozesses beraten hätte. Schon der letzte Landtag hatte mit 
gutem Grunde verlangt, das in Berlin bereits eingeführte öffentlich-münd- 
liche Verfahren müßte der gesamten Monarchie zu teil werden. Jetzt 
schien auch diese Forderung schon überwunden. Das Schwurgericht, das 
so oft als Bollwerk der Volksfreiheit gefeierte, war in aller Munde, nur 
durch Geschworene glaubte man die gerechte Handhabung des Strafgesetzes 
sichern zu können. Savigny aber, der von dem nahenden Sturme noch 
nichts bemerkte, mahnte bedachtsam: über den Wert der Schwurgerichte 
gingen die Meinungen doch weit auseinander. 
Auch der König ahnte noch nicht, daß eine neue Zeit gekommen war. 
Er war zufrieden mit dem ruhigen Verhalten seiner Ausschüsse und schloß 
sie am 6. März persönlich mit einer gnädigen Ansprache. Freudig kün- 
digte er ihnen an: nachdem nunmehr allen seinen Befehlen genügt sei,
	        
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