Alemannia. Görres' Tod. 661
zusammen, das seine Kneipe im Hinterhause der gräflichen Villa aufschlug.
Es waren durchweg schöne Leute, auf Kosten ihrer Freundin elegant ge—
kleidet, im übrigen ein nichtsnutziges, sittenloses Volk; und dieser Auswurf
der Universität bildete fortan Lolas Leibwache, wenn sie die Straßen und
die Kaffeehäuser durchzog. Die Alemannen zeigten sich jetzt prahlerisch,
herausfordernd in den Hörsälen, wo man sie früher nie gesehen, aber so—
bald eine rote Alemannenmütze auftauchte, begannen die Kommilitonen
zu lärmen, zu zischen, zu pfeifen und verließen dann allesamt den Saal.
Die Studentenschaft war Mann für Mann entschlossen, eine solche Rotte
nicht mehr unter sich zu dulden; und nun erfrechte sich Minister Berks
gar noch, auf einem Kommerse die Alemannen als Pfleger der Studien,
der Humanität, der Sittlichkeit zu feiern, die Gefolgschaft Lolas der ver—
dorbenen Jugend als Musterbild vorzuhalten. Das war mehr, als deutsche
Burschen vertragen konnten; selbst Thiersch, der allbeliebte neue Rektor,
vermochte durch seine väterlichen Anreden den Grimm der Jugend nicht
mehr auf die Dauer zu bändigen.
Mitten in diesen akademischen Wirren starb Görres (29. Jan. 1848).
Glücklicher konnte er nicht enden, denn gerade jetzt ward er als unbeug—
samer, freimütiger Feind einer verachteten Regierung überall gepriesen.
Noch auf dem Sterbebette sagte er: „der Staat regiert, die Kirche pro—
testiert.“ Auch die ehrlichen Gegner fühlten, daß dieser phantastische Geist
auf seinen weiten Irrfahrten vom Jakobinertum bis zur klerikalen Partei
doch eigentlich sich selber niemals untreu geworden war; für die Nation
blieb er der gewaltige Redner des Rheinischen Merkurs. Sein Begräbnis
gestaltete sich zu einer drohenden Kundgebung gegen das neue Regiment,
und die ganz von Lola abhängige Polizei reizte Bürger und Studenten
noch mehr auf durch allerhand plumpe Eingriffe. Am 7. Febr. 1848
erfüllten lärmende Massen den stillen Platz vor dem neuen Universitäts-
gebäude am Siegestore, die Alemannen traten ihren Feinden mit erstaun-
licher Frechheit entgegen. Am 9. wiederholten sich die unruhigen Auf-
tritte, diesmal heftiger; auf der langen Ludwigsstraße vom Siegestore
bis zum Hofgarten tummelten sich tobende Volkshaufen, ein Alemanne
zückte den Dolch gegen einen Kommilitonen und floh dann noch rechtzeitig
mit seinen Gesellen. Da erschien plötzlich Lola selbst in den Arkaden des
Hofgartens, wildes Geheul empfing sie, mit Kot und Steinen beworfen
mußte sie in der nahen Theatinerkirche Schutz suchen.
Nun hielt sich Ludwig nicht mehr. Noch am nämlichen Tage befahl
er, die Universität sofort bis zum Winter zu schließen. Dieselbe Strafe
hatte er schon vor siebzehn Jahren einmal über seine unruhigen Stu-
denten verhängt.)) Damals war die UÜbereilung in der Stille wieder
zurückgenommen worden; jetzt aber durchflog die Nachricht wie ein Lauf-
*) S. o. IV. 241.