Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

Flottwells Sturz. 59 
Inzwischen begannen Poninskis Königsberger Rede und die Beschwer- 
den des Grafen Raczynski ihre Frucht zu tragen. Raczynski verbreitete 
unter dem polnischen Adel eine Bittschrift, welche seine mündlichen Auße- 
rungen wiederholte, und sendete zugleich dem Monarchen die Belege für 
seine Klage.)) Poninski aber, der bei der Huldigung den Grafentitel 
und mannigfache Gnadenbeweise erhalten hatte, bezeigte seinen Dank, 
indem er an der Spitze von fünfzehn anderen polnischen Edelleuten dem 
Minister Rochow die unglaubliche Zumutung stellte: der zu Recht be- 
stehende Posener Landtag müsse aufgelöst werden, damit bei den Neuwahlen 
auch die soeben begnadigten Hochverräter aus den dreißiger Jahren mit- 
wirken könnten.) 
Über diese polnischen Wirren wurde im Staatsministerium während 
der drei letzten Monate des Jahres gründlich verhandelt. General Grolman 
und Oberpräsident Flottwell erstatteten mit gewohntem Freimut einen aus- 
führlichen Bericht: nur der Adel und der Klerus seien feindlich gesinnt, 
die polnischen Bauern zufrieden, die Deutschen, die schon zwei Fünftel der 
Bevölkerung ausmachten, unverbrüchlich treu. Der Thronwechsel habe jedoch 
bei den Polen unsinnige Hoffnungen erweckt, welche durch die Triumphreisen 
des begnadigten Erzbischofs und sicherlich auch durch die Pariser Propaganda 
geflissentlich genährt würden. Dem gegenüber müsse das bewährte System 
der „allmählichen Germanisierung“ unerschütterlich aufrecht bleiben. Dem- 
nach baten sie den Monarchen, die Beschwerden des polnischen Adels rund- 
weg abzuweisen und sodann, kraft seines königlichen Rechtes, dem nächsten 
Posener Landtage zu befehlen, daß diese erledigte Sache nicht wieder be- 
rührt werden dürfe. Aus vollem Herzen stimmte der greise Stägemann 
den beiden zu. In einer Denkschrift, die er wenige Tage vor seinem 
Tode abfaßte, billigte er namentlich den durch die Regierung betriebenen 
Ankauf polnischer Rittergüter und sagte mit seinem alten Markmannen- 
stolze kurzab: man möge den Klagenden nur eröffnen, „daß ihre Ger- 
manisierung beabsichtigt werde“, und sie an den Treubruch des Jahres 
1830 erinnern. Selbst General Thile konnte nicht umhin, mit einigen 
Vorbehalten, sich den beiden anzuschließen. Wie durfte man auch im 
Ernst von einem Sprachenzwange in Posen reden? Die Verwaltungs- 
behörden schrieben an Polen deutsch, aber mit beigelegter polnischer Über- 
setzung. Vor Gericht wurden die Prozesse in der Sprache des Klägers 
verhandelt; nur wenn er des Deutschen vollkommen mächtig war, verlangte 
man, daß er sich der deutschen Sprache bediente; denn da die Polen sich dem 
Staatsdienste fern hielten, so konnten von 168 Richtern nur 54 fertig 
polnisch sprechen; ihrer 33 verstanden nur wenig, 81 gar kein polnisch) 
*) Raczynski, Eingabe an den König, 27. Nov. 1840. 
*') Rochow, Bericht an den König, 12. Dez. 1840. 
* Vv') Stägemann, Denkschrift über Posen, Nov. 1840. Die übrigen Denkschriften 
s. o. V. 47. 
 
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.