676 V. 9. Der Niedergang des Deutschen Bundes.
anfragte. Hier zuerst in Deutschland tauchte das Schreckwort „Kama—
rilla“ auf, das nachher in den Zeiten der Revolution eine so große Rolle
spielen sollte. Die Schwarzwälder Bauern dachten sich darunter irgend
ein bösartiges Frauenzimmer. Was diese verrufene Kamarilla eigentlich
trieb, das ließ sich aus der Masse der umlaufenden Klatschereien aller—
dings nicht erkennen; gewiß war nur, daß die Großherzogin Sophie und
der kommandierende General Markgraf Wilhelm einander bekämpften,
desgleichen daß auch ultramontane Ränke sich zuweilen an diesen pro—
testantischen Hof heranwagten. Mehrere der hohen Hofbeamten waren
alte Emigranten. Als die beiden ältesten, noch sehr jugendlichen Söhne
des Großherzogs 1843 den Wiener Hof besuchten, da sollte Jarcke als po-
litischer Lehrer für sie angeworben werden; so hatte Blittersdorff ge—
raten. Ihr Begleiter, Oberst Roggenbach aber erkundigte sich zunächst
bei dem preußischen Gesandten Canitz; der Preuße schenkte ihm reinen
Wein ein und erklärte es für durchaus unziemlich, die Erziehung protestan—
tischer Prinzen diesem fanatischen Konvertiten anzuvertrauen, der schon
den jungen Herzog von Nassau ganz in österreichisch-klerikalem Geiste
unterrichtet hatte. So unterblieb der Versuch.“)
Die Kammern zeigten, nachdem sie über Blittersdorff triumphiert, ein
unermeßliches Selbstgefühl, sie glaubten an der Spitze der deutschen Nation
zu stehen und nährten die Überhebung im Volke dermaßen, daß bald nach-
her die badischen Demagogen alles Ernstes hoffen konnten, die deutsche Re—
publik von dieser Ecke des Vaterlandes her dem übrigen Volke aufzuer—
legen. Radowitz meinte: „Baden wird von der gesamten subversiven Partei
Deutschlands als das Terrain betrachtet, auf welchem die Hauptschläge
geschehen.“**) In diesen Tagen wurde das geheime Schlußprotokoll
der Wiener Konferenzen von 1834 zuerst in einer deutsch-amerikanischen
Zeitung veröffentlicht und, obgleich jene Beschlüsse fast ganz wirkungs—
los geblieben waren, doch von der gesamten liberalen Welt mit Ab—
scheu begrüßt. Welcker druckte sodann das unheimliche Aktenstück nochmals
ab und dazu die vollständigen Protokolle der Karlsbader Konferenzen, die
er aus Klübers Nachlaß erhalten hatte. Diese „Wichtigen Urkunden für
den Rechtszustand der deutschen Nation“ (1844) blieben jahrelang die
große Fundgrube für die liberale Zeitungspolemik und halfen vollends zer—
stören, was von dem Ansehen des Bundestags noch übrig war. In einer
donnernden Kammerrede übergab Welcker die Wiener Konferenzbeschlüsse
feierlich „dem Gottesgerichte der öffentlichen Meinung“. Auch über die
Mißhandlung Weidigs und Jordans, über die Zensur, über die geheimen
Bundesprotokolle, über alles, was sonst noch faul war im Deutschen
Bunde, erging er sich strafend in Schrift und Rede; es schien zuweilen,
*7) Canitzs Bericht, 15. Jan. 1843.
*“) Radowitzs Bericht, 19. April 1844.