Ultramontane und Liberale in Baden. 677
als ob der höchste Gerichtshof der deutschen Nation in der Karlsruher
Kammer tagte. Mit demselben erhabenen Pathos, wie die großen Anliegen
des deutschen Volkes, besprach man aber auch die kleinlichsten badischen
Ortsbeschwerden, so die polizeiliche Abwandlung zweier Bürger, die im
Wirtshause einen Polizeibeamten „scharf angeschaut und sich anzügliche
Bemerkungen über seine Nase erlaubt hatten“. Der wohlmeinende liberale
Minister v. Dusch erwiderte zwar auf die Warnungen des konservativen
Nachbarn du Thil: „wir regieren mit der öffentlichen Meinung und durch
sie.“) In Wahrheit hatte sich Blittersdorffs hartes bureaukratisches
Regiment auch jetzt noch kaum geändert. Der Muster-Zensor Uria-Sarachaja
erlaubte sich gerade damals, unter dem schwachen Ministerium Nebenius,
die frechste Willkür. Mannigfache Roheiten der Polizeibehörden reiz-
ten das Volk, zumal in Mannheim; dort war der Pöbel der Neckar-
vorstadt, „der Neckarschleim“ ohnehin zu Unruhen geneigt, und einmal
wurde sogar der Gemeinderat, als er einen keineswegs ungesetzlichen
politischen Beschluß fassen wollte, durch die Truppen auseinander gejagt.
Die Regierung schwankte zwischen halb liberalen Neigungen und polizei-
licher Seelenangst; in den langen stürmischen Kammerverhandlungen
kam schließlich nichts zu stande als das neue Strafgesetzbuch, ein tüch-
tiges Werk des Staatsrats Jolly.
Da stellte Zittel (Dez. 1845), angeregt durch die deutschkatholische
Bewegung, seinen Antrag auf Gleichberechtigung der christlichen Religions-
parteien.) Dieser unverfängliche Antrag, der kaum mehr verlangte, als
was König Friedrich Wilhelm bald nachher den Dissidenten gewährte, bot
nun der jungen klerikalen Partei den Vorwand, um ihre Kraft zu erproben
und nach bayrischer Art eine mächtige Kundgebung des katholischen Volks-
zornes zu veranstalten. Der vormals radikale Freiburger Professor Buß,
der als Gelehrter gar nichts galt, aber durch seine freche Stirn schwache
Leute zu erschrecken vermochte, leitete die pfäffische Wühlerarbeit im Ober-
lande. Auch Major Hennenhofer, der verrufene Günstling des alten
Großherzogs Ludwig, tauchte wieder aus der Vergessenheit auf, um den
Klerikalen im Breisgau beizuspringen. Die Religion ist in Gefahr —
oder: wollt ihr katholisch bleiben? — so erklang es in zahllosen Flug-
schriften und Volksversammlungen. Die Schwarzwälder Bauern, die noch
kaum aufatmeten von den wütenden Wahlkämpfen der Blittersdorffischen
Zeit, sahen sich plötzlich in eine wilde kirchliche Aufregung hineingehetzt;
es war, als ob alle Parteien des Landes sich verschworen hätten, dies er-
regbare, aber gutherzige und keineswegs zuchtlose Volk nie mehr zur Be-
sinnung kommen zu lassen. Auf der anderen Seite lärmten die Juden,
die Deutschkatholiken, die werdende radikale Partei. Als der klerikale
*) du Thils Aufzeichnungen, Wildbad, Mai 1846.
**) S. o. V. 348.