Germanistentage. Heppenheimer Versammlung. 687
durch den welfischen Staatsstreich und den schleswigholsteinischen Streit
wieder ein hohes politisches Ansehen errungen hatte und nunmehr in
gründlicher wissenschaftlicher Erörterung die großen politischen Lebens—
fragen der Nation besprach. Eine andere Bühne stand den Deutschen noch
nicht offen, und es war nur der Lauf der Welt, daß die Männer dieses
geistigen Landtags nachher in allzu großer Zahl für das wirkliche Par—
lament gewählt wurden. In Frankfurt ward die schleswigholsteinische Frage
von Dahlmann, Waitz, Droysen so ernst und umsichtig beleuchtet, daß seit—
dem ein Zweifel an dem guten Rechte unserer Nordmark kaum noch mög—
lich schien. In Lübeck sodann gelangte der alte Streit um die Neugestaltung
des Strafverfahrens zu einem vorläufigen theoretischen Abschluß; auch
Georg Beseler, der kürzlich in seiner Schrift „Volksrecht und Juristenrecht“
die Ruheseligkeit der historischen Schule bekämpft und das altdeutsche
Schöffengericht verteidigt hatte, bekehrte sich jetzt zu der sehr bestreit—
baren, aber von der Mehrzahl gebilligten Ansicht Dahlmanns: das
Schwurgericht sei das gediegenste politische Bildungsmittel für das Volk.
So stimmten die Gelehrten mit den volkstümlichen Wünschen überein.
Es waren doch glückliche Tage; eine schwärmerische, hoffnungsfrohe Be-
geisterung verjüngte auch die Alten. Uhland meinte, die alten Kaiser
sprängen leibhaftig aus ihren Rahmen heraus, als er im alten Römersaale
die vaterländische Beredsamkeit der Tagenden anhörte; und im Lübecker
Rathause fiel der greise Jakob Grimm dem Freunde Dahlmann überwältigt
in die Arme mit dem Ausruf: er habe nie etwas so sehr geliebt wie sein
Vaterland. Nur zu bald sollte die Zeit mit ehernen Sohlen über solche un-
schuldige Gefühle hinwegschreiten. Die Gelehrten empfanden das selbst;
sie verabredeten miteinander ein gemeinsames Werk über die neueste
deutsche Geschichte, ein Unternehmen, das bestimmt war, der Nation das
Bewußtsein ihrer jüngsten Entwicklung zu erwecken, ihr die Einsicht zu
schärfen für kommende Taten. Auch dieser Plan ward nachher durch die
Revolution vereitelt; nur einige Bruchstücke, das Leben Steins von Pertz
und Wippermanns kurhessische Geschichte, kamen zu stande.
Solche Versammlungen konnten nur vorbereiten; unmittelbar der
Politik des Tages galten aber die vertraulichen Beratungen, welche alle
diese Jahre hindurch zwischen den liberalen Abgeordneten Westdeutschlands
gehalten wurden. Die Ratlosigkeit und die Zwietracht der Kronen zwangen
die Nation, den Anstoß zu einer Bundesreform nur noch von unten
her zu erwarten. Im Oktober 1847 versammelten sich zu Heppenheim
mehrere der angesehensten Liberalen des Westens: Mathy, Bassermann,
Soiron aus Baden, Römer aus Württemberg, Hergenhahn aus Nassau,
Heinrich v. Gagern aus Hessen, Hansemann und Mevissen aus dem preu-
hßischen Rheinlande; auch der alte Itzstein war erschienen, doch merkte
er bald, daß seine Stimme unter diesen gemäßigten Liberalen nichts
mehr galt. Hier wurde nun der Gedanke des deutschen Parlaments, der