Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

Germanistentage. Heppenheimer Versammlung. 687 
durch den welfischen Staatsstreich und den schleswigholsteinischen Streit 
wieder ein hohes politisches Ansehen errungen hatte und nunmehr in 
gründlicher wissenschaftlicher Erörterung die großen politischen Lebens— 
fragen der Nation besprach. Eine andere Bühne stand den Deutschen noch 
nicht offen, und es war nur der Lauf der Welt, daß die Männer dieses 
geistigen Landtags nachher in allzu großer Zahl für das wirkliche Par— 
lament gewählt wurden. In Frankfurt ward die schleswigholsteinische Frage 
von Dahlmann, Waitz, Droysen so ernst und umsichtig beleuchtet, daß seit— 
dem ein Zweifel an dem guten Rechte unserer Nordmark kaum noch mög— 
lich schien. In Lübeck sodann gelangte der alte Streit um die Neugestaltung 
des Strafverfahrens zu einem vorläufigen theoretischen Abschluß; auch 
Georg Beseler, der kürzlich in seiner Schrift „Volksrecht und Juristenrecht“ 
die Ruheseligkeit der historischen Schule bekämpft und das altdeutsche 
Schöffengericht verteidigt hatte, bekehrte sich jetzt zu der sehr bestreit— 
baren, aber von der Mehrzahl gebilligten Ansicht Dahlmanns: das 
Schwurgericht sei das gediegenste politische Bildungsmittel für das Volk. 
So stimmten die Gelehrten mit den volkstümlichen Wünschen überein. 
Es waren doch glückliche Tage; eine schwärmerische, hoffnungsfrohe Be- 
geisterung verjüngte auch die Alten. Uhland meinte, die alten Kaiser 
sprängen leibhaftig aus ihren Rahmen heraus, als er im alten Römersaale 
die vaterländische Beredsamkeit der Tagenden anhörte; und im Lübecker 
Rathause fiel der greise Jakob Grimm dem Freunde Dahlmann überwältigt 
in die Arme mit dem Ausruf: er habe nie etwas so sehr geliebt wie sein 
Vaterland. Nur zu bald sollte die Zeit mit ehernen Sohlen über solche un- 
schuldige Gefühle hinwegschreiten. Die Gelehrten empfanden das selbst; 
sie verabredeten miteinander ein gemeinsames Werk über die neueste 
deutsche Geschichte, ein Unternehmen, das bestimmt war, der Nation das 
Bewußtsein ihrer jüngsten Entwicklung zu erwecken, ihr die Einsicht zu 
schärfen für kommende Taten. Auch dieser Plan ward nachher durch die 
Revolution vereitelt; nur einige Bruchstücke, das Leben Steins von Pertz 
und Wippermanns kurhessische Geschichte, kamen zu stande. 
Solche Versammlungen konnten nur vorbereiten; unmittelbar der 
Politik des Tages galten aber die vertraulichen Beratungen, welche alle 
diese Jahre hindurch zwischen den liberalen Abgeordneten Westdeutschlands 
gehalten wurden. Die Ratlosigkeit und die Zwietracht der Kronen zwangen 
die Nation, den Anstoß zu einer Bundesreform nur noch von unten 
her zu erwarten. Im Oktober 1847 versammelten sich zu Heppenheim 
mehrere der angesehensten Liberalen des Westens: Mathy, Bassermann, 
Soiron aus Baden, Römer aus Württemberg, Hergenhahn aus Nassau, 
Heinrich v. Gagern aus Hessen, Hansemann und Mevissen aus dem preu- 
hßischen Rheinlande; auch der alte Itzstein war erschienen, doch merkte 
er bald, daß seine Stimme unter diesen gemäßigten Liberalen nichts 
mehr galt. Hier wurde nun der Gedanke des deutschen Parlaments, der
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.