Bundesreformpläne. Blittersdorff. Leiningen. 691
zu guter Letzt vollends ganz unpopulär und verschrien machen?“ Der
Hesse aber dachte ahnungsvoll: Après nous le déluge!7)
Ehrlicher gemeint waren einige Reformvorschläge des Fürsten Karl
v. Leiningen. Ein Halbbruder der Königin Victoria hatte er einen Teil
seiner Jugend in England verlebt, mannigfache Erfahrungen und Kennt-
nisse gesammelt und den Segen einer starken nationalen Einheit aus der
Nähe kennen gelernt; ohnehin betrachtete er, gleich der Mehrzahl der me-
diatisierten Fürsten, die deutschen Dynastien mit skeptischen Blicken, denn
warum sollten die Häuser Lippe oder Reuß unantastbarer sein als Lei-
ningen oder Fürstenberg? Seit er den Vorsitz im bayrischen Reichsrate
mit gutem Anstande führte, glaubte er sich auch an die großen Aufgaben
der nationalen Politik wagen zu können. Leider fehlten dem warm-
herzigen Patrioten Ruhe, Stetigkeit, ausdauernder Fleiß; alle seine Arbeiten
waren formlos, halb ausgereift, sie verrieten die lässige Hand des vor-
nehmen Dilettanten. In einer schwungvollen Denkschrift mahnte er seine
mediatisierten Standesgenossen, auf die verhaßten Abgaben und obrigkeit-
lichen Rechte, die ihnen noch geblieben, rechtzeitig zu verzichten und sich
dafür in den Landtagen eine politische Machtstellung zu sichern.*) In
zwei anderen Aufsätzen betrachtete er sodann die deutsche Frage und er-
klärte sich offen für Preußens Hegemonie; die Hofburg dachte er, soviel
sich erraten ließ, mit einer Ehrenstellung abzufinden. Die einst so heiß
erstrebte Souveränität der deutschen Dynastien — so führte er aus — sei
einerseits durch den Zollverein, andererseits durch die Landstände und das
Beamtentum, kurz durch die wachsende Macht des Mittelstandes schon
so gründlich beeinträchtigt, daß sie auch noch stärkere Einschränkungen wohl
ertragen könne; darum müßten die Fürsten sich der beiden bewegenden
Elemente der Zeit, der Ideen der konstitutionellen Freiheit und der Na-
tionalität bemächtigen, die Nation nach diesen Zielen hinführen, das Über-
gewicht Preußens zugleich anerkennen und fest begrenzen. „Wie aber“,
fuhr er nachdenklich fort, „wenn sich Preußen auch in politischer Beziehung
an die Spitze der Ideen und Bestrebungen jenes schon so mächtigen
Mittelstandes stellt und die Erreichung jenes Zieles, nach dem die deutsche
Nation so mühselig strebte, ihr plötzlich als ganz nahe zeigt?“
Die eine dieser Denkschriften, die auch am Bundestage und an den
kleinen Höfen bald bekannt wurden, sendete der Fürst seinem Schwager, dem
Prinzen Albert, und der Prinz-Gemahl entschloß sich alsbald mit der gan-
zen Dreistigkeit des künstlichen Engländers, den König Friedrich Wilhelm
über deutsche Politik zu unterrichten. Wunderbar doch, in welchen holden
Selbsttäuschungen diese glückhaften Koburger dahinlebten! Die lächerliche,
*) du Thils Aufzeichnungen, Juni 1846.
**7) Fürst von Leiningen, Denkschrift über die Mediatisierten, Frühjahr 1846.
***) Fürst v. Leiningen, zwei Denkschriften über Deutschlands Lage, o. D., etwa im
Januar und im Juli 1846 geschrieben.
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