Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

692 V. 9. Der Niedergang des Deutschen Bundes. 
nur durch eine heuchlerische Hof-Etikette notdürftig verdeckte Ohnmacht 
des englischen Königtums blieb ihnen ganz verborgen, und Herzog Ernst 
von Koburg meinte alles Ernstes, die Stellung seines Bruders sei „dem 
Könige von Preußen wohl gewachsen“! Die deutsche Fremdbrüderlichkeit 
aber ertrug willig eine Anmaßung, welche jedes andere Volk den ver— 
lorenen Söhnen des Vaterlandes stolz verbietet. Wie unsere Liberalen 
sich von den Deutsch-Amerikanern dankbar belehren ließen, so fanden es 
auch unsere Höfe nicht unwürdig, daß dieser Koburger, der seinem Vater— 
lande gleichmütig den Rücken gewendet hatte, immer noch in deutschen 
Dingen mitreden wollte. Was würde Königin Victoria gesagt haben, 
wenn König Friedrich Wilhelm ihr im Tone des Lehrers Anweisungen 
für die innere Politik Englands gegeben hätte? — diese einfache Frage 
legten sich die bescheidenen Deutschen noch nicht vor. Prinz Albert stand 
der partikularistischen Dynastengesinnung viel näher als sein deutscher 
Schwager, und namentlich der Gedanke der preußischen Hegemonie blieb 
ihm unheimlich. Darum eignete er sich einige gute Gedanken der Lei— 
ningenschen Denkschrift an, um ihnen sogleich behutsam die Spitze ab— 
zubrechen. Er verlangte, wie sein Schwager, das konstitutionelle Regi— 
ment und die deutsche Einheit, aber obgleich er selber zugab, daß Oster— 
reich jede Reform grundsätzlich hindere, so forderte er doch, Preußen müsse 
im Einverständnis mit Osterreich vorgehen und den Bundestag dermaßen 
stärken, daß alle die Zoll- und Post- und Münzwvereine in Frankfurt unter 
dem Schutze des Bundes vereinigt würden, allerdings mit Zuziehung 
gewählter Abgeordneten und mit voller Offentlichkeit. Seine Ratschläge 
stimmten also am letzten Ende mit Blittersdorffs österreichischen Denk— 
schriften überein; nur stellte er, in seltsamem Widerspruche, immer wieder 
die Bedingung, daß Preußen die Leitung der Frankfurter Reformpolitik 
allein in seiner Hand behalten müsse. Wie aber dies Wunder möglich 
werden, wie Preußen in Frankfurt jemals eine sichere Mehrheit erlangen 
sollte? — darauf gab der Prinz keine Antwort. Es war doch eine recht 
schwache Arbeit, diese im Vetternkreise vielgerühmte Denkschrift von Ard— 
verikie vom 11. Sept. 1847; sie bewies nur von neuem, daß ein vater— 
landsloser Mann vaterländische Politik nicht verstehen kann. 
Mit massiver Offenheit, da er ja hier am heimischen Hofe kein Blatt 
vor den Mund zu nehmen brauchte, erklärte sich Lord Palmerston wider 
die Pläne des Prinz-Gemahls. Er wünschte zwar den Deutschen alles 
Gute und wiederholte geläufig die zeitgemäßen Redensarten von dem na— 
türlichen Bunde zwischen England und Deutschland. Aber von deutscher 
Zolleinheit wollte er nichts hören; kein englischer Minister, so sagte er 
feierlich, könne jemals zugeben, daß Hannover und die Hansestädte dem 
Zollvereine beiträten, diese westdeutsche Freihandelsküste biete ja den 
Briten das einzige Mittel, um ihre Fabrikwaren nach Deutschland hinüber— 
zuschmuggeln. Schade nur, daß dies herzinnige englische Geständnis in
	        
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