Preußens Verhandlungen mit Osterreich. 695
zu den Intellektuellen. Er versteht mich und wird Sie also auch ver—
stehen, und heute kommt es wohl mehr als nie auf Verständigung unter
denen an, welche noch Kopf und Arme haben und nicht zu den Acephalen
und den Paralytikern gehören.“*) In Wahrheit war Werner nur ein
brauchbarer Bureaukrat des gewöhnlichen Schlages, ohne Ideen, ohne
Tatkraft, und selbst ein größerer Mann konnte die breite Kluft, welche
die beiden Staaten trennte, nicht mehr überbrücken. Noch immer geängstigt
durch die Leipziger Unruhen, verlangte Metternich scharfe Maßregeln gegen
die neuen Sekten. Canitz aber berief sich standhaft auf die bewährten
Traditionen seiner Monarchie: „Die Glaubensfreiheit, wie sie in Preußen
besteht, ist ein Produkt unserer Geschichte, in der die sechsundvierzigjährige
Regierung Friedrichs II. ausradiert werden müßte, wenn wir ihren Begriff
so interpretieren wollten, wie Kaiser Joseph II. ihn, von seinem Stand-
punkt aus mit vollem Rechte, feststellte.“ 5
Ebenso wenig konnte man sich über die Presse einigen. Der Oster-
reicher forderte, um das tief erkrankte Deutschland zu heilen, unnach-
sichtliche Durchführung des Karlsbader Preßgesetzes, das sich doch so
unwirksam gezeigt hatte. Der Preuße erwiderte, indem er auf Metter-
nichs „Lieblingsgleichnis“ ironisch einging: „Der Kranke wird nicht da-
durch gesund, daß er an die Vorschriften erinnert wird, deren Befolgung
ihn vor dem Fieber, das ihn schüttelt, hätte bewahren können.“) Canitz
verlangte jetzt Preßfreiheit mit einem strengen Repressivsysteme, denn durch
die kläglichen Erfahrungen des neuen Ober-Zensurgerichts hatten der König
und Savigny endlich gelernt, daß man mit der Zensur nicht mehr aus-
kam.) Auf das heftigste widersprach Metternich: In England und Frank-
reich kenne ich keinen Staatsmann, der die Preßfreiheit nicht für ein Übel
hält, „da sie ihrer Natur gemäß nur deren Lizenz zu sein vermag. Alle
Maßregeln, welche dem Juste Milien zwischen dem Leben und dem Tode,
welche also dem Siechtum angehören, bieten keinen Stoff zu Normal-
gesetzen.“ Sein preußischer Freund aber antwortete: Unser Vorschlag ist
ein Juste Milieu zwischen Leben und Tod nur in demselben Sinne, „wie es
das menschliche Leben in dieser gebrechlichen Welt überhaupt ist. Es wäre
ein allzu strenges Urteil über unser Vaterland, wenn man behaupten
wollte, in Deutschland könne die Gewalt der Presse nur verderblich wirken,
wenn eine strenge ängstliche Zensur sie nicht lähmte.“)-#Der greise, in
seinen Gedanken jetzt ganz fest eingerostete Staatskanzler konnte den Wider-
spruch der Preußen gar nicht begreifen. Nach erneutem Schriftenwechsel
sendete er im Frühjahr 1847 seinen Hofrat Werner nach Berlin, um mit
*) Metternich an Canitz, 25. Aug. 1845.
**) Canitz an Metternich, 29. Aug. 1845, 14. Febr. 1846.
*“ ) Canitz an Metternich, 1. Nov. 1845.
7) Savigny an Thile, 28. März 1845.
) Metternich an Canitz, 16. April, Antwort 26. April 1846.