Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

712 V. 10. Vorboten der europäischen Revolution. 
Fürsten vorzustellen: Müßiggang ist aller Laster Anfang, dies war bisher 
das Los der Landtage Osterreichs; diese ersten Regungen ständischen 
Willens sind ein Zeichen politischer Gesundung; eine konservative Politik 
muß die Rechte der Stände anerkennen und gesetzlich regeln, damit sie als 
Stütze, nicht als Hemmnis dienen.) Auf Augenblicke fühlte auch Metter- 
nich, daß man mit dem alten Systeme der Totenstille nicht mehr weiter 
kam. Durch Preußens Vorgang ermutigt, veranstaltete die Regierung 
(1845) die erste österreichische Gewerbeausstellung; in der kläglichen Er- 
öffnungsrede des armen Kaisers war freilich weder von Osterreich noch von 
einer Staatsgesinnung die Rede. Gleich nachher erschien ein Folioband 
„Statistische Tabellen der österreichischen Monarchie“, natürlich nur in 
wenigen Exemplaren für die hohen Beamten; doch da die fremden Ge- 
sandten sich sehr wißbegierig zeigten, so verfiel Metternich schon auf die 
verwegene Frage, ob man den Band nicht dem Buchhandel anvertrauen 
solle.*) Es war vorbei mit der alten patriarchalischen Gemütlichkeit. 
Selbst der Tiroler Landtag hallte von lebhaften Reden wider, seit die 
Klerikalen sich zu einer geschlossenen Partei geschart hatten. Galizien blieb 
seit der Einverleibung Krakaus in allen Tiefen aufgewühlt; drohender 
denn je erklang das altnationale Sprichwort: solange die Welt Welt 
bleibt, wird der Pole nie des Deutschen Bruder. 
Weit folgenreicher noch wurde die zugleich nationale und liberale 
Bewegung in Böhmen. Die Tschechen waren aus ihrem Schlummer längst 
erwacht. Sie wendeten, wie alle wiedererstehenden Völker, ihre phantastische 
Sehnsucht der ältesten Vorzeit zu und schwärmten, froh ihrer neu entdeck- 
ten, echten und gefälschten Geschichtsquellen, für ihre Königin Libussa, für 
die siegreichen Bauernschlachten der Hussitenkriege, für König Podiebrad 
und alle die anderen Helden des vormals ruhmreichsten aller Slawenvöl- 
ker; sie fanden in dem evangelischen Pfarrer Johann Kollar ihren ersten 
Apostel, dann in Schaffarik, Hanka, Palacky begeisterte patriotische Ge- 
lehrte, in Havlicek einen gewandten Publizisten, der durch herzzerreißende 
Schilderungen des irischen Elends die Zensur zu täuschen verstand, obgleich 
alle seine Leser wußten, daß er unter Irland immer das Tschechenland 
meinte. Viele der mächtigen Kondottierengeschlechter, welche Kaiser Fer- 
dinand II. einst in das unterworfene Böhmen verpflanzt hatte, wendeten 
sich dem Tschechentum zu, desgleichen ein großer Teil des Klerus, der ja 
immer, von seinem sicheren Machtgefühle geleitet, für das minder gebildete 
Volkstum eintritt. Den Deutschen aber gereichte zum Unheil, daß die 
Juden sich meist zu ihnen hielten und nun der wütende Judenhaß des 
ausgewucherten tschechischen Landvolks den Deutschenhaß noch verschärfte. 
Auf ihrer weit in das deutsche Land hineingeschobenen Vorpostenstellung 
  
*) Canitzs Bericht, 15. Mai 1845. 
**) Canitzs Bericht, 31. Mai 1845.
	        
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