Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

722 V. 10. Vorboten der europäischen Revolution. 
weder dem Wiener noch dem Pariser Hofe ganz trauen könne. Sofort 
schickte der Lord seinen Freund, den radikalen Querkopf Earl Minto als 
Gesandten nach Turin, dann auch mit geheimen Aufträgen nach Rom, 
wo Großbritannien sich auf Grund seiner alten Gesetze nicht amtlich ver— 
treten lassen durfte, und sagte höhnisch zu Bunsen: das wird Metternich 
nicht gefallen, aber eine englische Flotte in der Adria wird ihm noch we— 
niger gefallen.s) In Mintos Gefolge befand sich eine ganze Schar 
amtloser junger Leute, die mit erstaunlicher Unbescheidenheit überall an 
den Höfen die nahende Revolution ankündigten. Nichts lag diesen vor— 
nehmen Demagogen ferner als eine ehrliche Teilnahme für Italiens 
Unglück; sie wollten nur Palmerstons Feinden Metternich und Guizot 
entgegenwirken und den für Englands Handelspolitik so einträglichen Un— 
frieden auf dem Festlande nähren. Bunsen freilich, dem niemals eine 
englische Arglist zu plump war, ließ sich auch diesmal täuschen, und schrieb 
begeistert: der Kampf um Verfassungen werde zu „einer politischen Reli— 
gionsfrage, wobei England hohenpriesterliche Stellung einnehme.“**) Pal— 
merston als Hoherpriester! — dieser spaßhafte Gedanke konnte allerdings 
nur in dem fremdbrüderlich begeisterten Haupte des preußischen Gesandten 
entstehen, und Canitz wollte nicht glauben, daß in einem Volke, das bis- 
her auf seinen gesunden praktischen Verstand stolz gewesen, „ein politischer 
Fanatismus zu einem dauernden System gemacht werden sollte.) Sein 
König aber meinte, als er die unleidliche Zänkerei der westmächtlichen 
Diplomaten kennen lernte: „die englischen Gesandten in Piemont und 
Hellas scheinen mir, um recht höflich zu sein, zum Tollhaus reif, über- 
reis.“y)Mit gutem Grunde klagte Metternich: der Lord Feuerbrand 
nehme die alte „Canningsche Aolus-Politik“ wieder auf; der Staats- 
mann, der am lautesten wider die Interventionspolitik gescholten, mische 
sich überall ein, er sei le plus intervenant de tous. Was der englische 
Hof tun konnte, um den allgemeinen Weltbrand zu schüren, das tat er 
nach Kräften. 
Also zwischen den großen Mächten hin und her geschleudert brachte der 
gequälte Papst in anderthalb Jahren nur eine wichtige Reform zu stande 
— die gefährlichste von allen: er schuf die Nationalgarde, die sich so leicht 
gegen den heiligen Stuhl selber wenden konnte. Auch eine weltliche Con- 
sulta trat zusammen, aber wie war es möglich, daß Kardinäle sich der 
Aufsicht der Laien wirklich unterwerfen sollten? Nun gar der weltliche 
Ministerrat, der auf Rossis Bitten endlich berufen wurde, krankte von 
Haus aus an einem unheilbaren Übelstande. Alle große Politik der 
Kurie war kirchlich, die armseligen Interessen des Kirchenstaates fielen 
  
*) Bunsens Bericht, 28. Sept. 1847. 
**) Bunsen an Canitz, 16. April 1847. 
7"*) Canitz an Bunsen, 25. Sept. 1847. 
f) König Friedrich Wilhelm an Bunsen, 8. Okt. 1847.
	        
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