Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

Verspätete Vermittlung der Großmächte. 733 
andererseits die Tagsatzung vor der Propaganda des europäischen Radi— 
kalismus zu warnen. Er erhielt den geheimen Befehl, die von Palmer— 
ston mit unterzeichnete Vermittlungsnote nicht zu überreichen, falls der 
Sonderbund unterdessen vernichtet wäre. So blieb England fern, und 
Palmerston erlebte die Freude, daß die vier anderen Mächte allein durch 
eine höflich ablehnende Note der Tagsatzung dahin belehrt wurden: eine 
Vermittlung sei überflüssig, da die zwei Parteien der Eidgenossenschaft 
nicht mehr beständen. Mit lautem Hohne begrüßte der Liberalismus 
überall diese Abfertigung der großen Mächte; sie hatten es durch ihre 
Parteilichkeit dahin gebracht, daß der Untergang des Sonderbundes wie 
eine Niederlage der alten europäischen Ordnung erschien. Thiers sagte 
in der Kammer, die Haltung Guizots sei die lebendige Kontrerevolution. 
Aus Frankreich, aus Süddeutschland, aus Sachsen erhielt die Tagsatzung 
Glückwunsch-Adressen; auch Jacoby mit seinen Königsbergern sprach den 
Schweizern feierlich seinen Dank aus; und Freiligrath sang: 
Im Hochland fiel der erste Schuß, 
Im Hochland wider die Pfaffen. 
Da kam, die fallen wird und muß, 
Ja die Lawine kam in Schuß. 
Drei Länder in den Waffen! 
Die Freiheit dort, die Freiheit hier, 
Die Freiheit jetzt und für und für, 
Die Freiheit rings auf Erden! 
Spott und Hohn brachten die schweizerischen Händel allen Mächten des 
Festlands, dem Könige von Preußen aber auch noch eine schwere persönliche 
und politische Demütigung. An geheimen Waffen- und Geldsendungen 
sich zu beteiligen, war Friedrich Wilhelm zu stolz und zu ehrlich. Um so 
eifriger verlangte er das offene Eintreten des gesamten Europas für das 
bedrohte Bundesrecht der Eidgenossenschaft. Der schweizerische Radikalis— 
mus, der im Grunde den Anschlägen der weltbürgerlichen Propaganda wenig 
geneigt war, erschien ihm wie der unheilschwangere Mutterschoß der euro— 
päischen Anarchie. Schon im Sommer 1846 ließ er nach London schreiben: 
„Die Kantonalsouveränität, wie sie die bestehenden Verträge schützen, auf— 
recht zu halten, ist für Preußen wegen Neuenburgs durchaus notwendig.“ 
Als sich sodann die zweizüngige englische Politik enthüllte, da beschwerte 
er sich bitter, daß Großbritannien seinen besten und treuesten Alliierten, 
Preußen preisgäbe, und Canitz klagte: „Teils leidenschaftlicher Haß gegen 
Guizot und Metternich, teils grundsätzliches Interesse für jeden Kampf 
gegen die bestehende Ordnung unter dem Vorwande des Fortschritts ist 
das Prinzip des britischen Kabinetts, und Bankrott der Legitimität seine 
Firma.““) Wunderbar wie der geistreiche König sich selber ins Gesicht 
schlug. In Wien und Frankfurt vertrat er ehrenhaft die deutsche Bun- 
  
*) Canitz an Bunsen, 27. Juli 1846, 25. Sept. 1847.
	        
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