Neuenburgs Unterwerfung. 737
Der alte König hatte nach der Juli-Revolution fast sein ganzes Heer auf
Kriegsfuß gesetzt, um Deutschlands Neutralität zu schützen; der Sohn wagte
für die Neuenburger Royalisten nicht einmal eine Brigade aufzubieten
und jammerte dann noch über seine Ohnmacht. Daß die große Mehrheit
der Neuenburger die schützenden Truppen ihres Fürsten mit offenen Armen
aufgenommen hätte, verstand sich von selbst; die Tagsatzung aber konnte
nimmermehr wagen, zugleich gegen den Sonderbund und gegen Preußen
zu kämpfen. Solange die Eidgenossen noch nicht wußten, was man diesem
Könige bieten durfte, hüteten sie sich sorgfältig, seine mächtige Krone
zu beleidigen. General Dufour weigerte sich entschieden, das Fürstentum
zu besetzen, obgleich der König es unbeschützt ließ, und selbst der grobe
Ochsenbein wagte nicht offen zu widersprechen, als der preußische Gesandte
Sydow zu Anfang Novembers mündlich die tatsächliche Schonung der
Neutralität Neuenburgs verlangte.“) Die beiden Schweizer wollten er—
sichtlich abwarten, was das Kriegsglück bringen würde; vor Waffen
konnten aber nur Waffen sichern.
Als nun die Eidgenossen siegten, da war der König tief beschämt.
Nichts, gar nichts hatte er getan, um die Neutralität seines Landes zu
beschirmen — was doch in ähnlichen Fällen selbst schwache Staaten wie
Belgien nie verabsäumten. Auch seine Diplomatie verfuhr unbegreiflich
langsam. Erst am 26. Nov. überreichte Sydow eine Note, welche der
Tagsatzung ankündigte, daß der König jede Verletzung der Neutralität als
Friedensbruch und Feindseligkeit gegen sich selbst betrachten müsse; zugleich
erbot sich Friedrich Wilhelm zur Vermittlung und lud die Eidgenossen
ein, auf einem europäischen Kongresse, der in der neutralen Stadt Neuen—
burg abgehalten werden sollte, ihre Klagen und Gegenklagen vorzulegen.
Was konnte ein solcher Vorschlag fruchten — zwei Tage, nachdem Luzern
gefallen und der Sonderbund so gut wie vernichtet war? Die Tagsatzung
lehnte die Vermittlung ab und bestritt dem Könige das Recht in den
inneren Angelegenheiten der Schweiz mitzureden. Nunmehr mußte auch
der Kanton für die Schlaffheit seines Fürsten büßen; er wurde von der
Tagsatzung verurteilt, etwa 440 000 Fr. Strafe für die unterlassene
Heeresfolge zu zahlen, und schutzlos, wie er war, konnte er sich den völlig
widerrechtlichen Forderungen der Sieger nicht widersetzen. Dabei verfuhr
die Tagsatzung noch immer mit einiger Schonung, weil sie den König nicht
zu sehr verletzen wollte und weil die rechtschaffene Haltung der Neuenburger
Royalisten doch selbst die radikalen Gegner zur Achtung zwang. Der Kan-
ton blieb von eidgenössischer Einquartierung verschont; die Strafsumme
wurde niedrig bemessen, weit niedriger als die schweren, den Sonderbunds-
kantonen auferlegten Brandschatzungen, und überdies, um die Form zu
wahren, nur zu Unterstützung der Verwundeten und Hinterbliebenen
*) So erzählte Canitz an Kunyphausen (dessen Bericht, 12. Nov. 1847).
v. Treitschke, Deutsche Geschichte. V. 47