Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

Neuer Versuch einer europäischen Intervention. 739 
Whigministerium unmöglich verborgen bleiben. Bunsen selbst war jetzt 
ganz begeistert für die liberalisierende Politik Palmerstons, den er doch 
früherhin wenig geliebt hatte; er fühlte sich glückselig in den fürstlichen 
Schlössern der großen Whigfamilien, er merkte nicht, wie derb diese gütigen 
Gastgeber ihn wegen seines ägyptischen, kirchlichen, philologischen, politi— 
schen Allerweltsdilettantismus verspotteten, und sprach von der unauf- 
löslichen englisch-preußischen Allianz mit einem solchen Feuereifer, daß 
Canitz ihn schließlich sehr ernst zurechtweisen mußte: „Wenn man in Paris, 
in Wien, in St. Petersburg glaubt, daß wir dem Einverständnis mit 
England zu Liebe gemeinschaftliche Sache mit dem dermaligen britischen 
Minister in den schweizerischen, italienischen, überhaupt in allen den 
Händeln machen, wo der Radikalismus seine Fahnen aufpflanzt, so ist es 
meine unzweideutige Schuldigkeit, dafür zu sorgen, daß man wisse: das 
sei nicht die Politik des Königs und Seines Kabinetts, folglich solle und 
könne es auch nicht die Seiner Gesandten sein.“) 
Währenddem war Radowitz, als es längst zu spät war, in Wien 
eingetroffen, um die Berufung der Neuenburger europäischen Konferenz 
durchzusetzen und zugleich die deutschen Bundesreform-Vorschläge seines 
königlichen Herrn zu überreichen. Die deutschen Pläne blieben schließlich 
liegen, um der schweizerischen Händel willen. Über diese aber verständigte 
man sich leicht: nötigenfalls sollte die Einmischung der Großmächte durch 
eine Handelssperre, ja durch die Besetzung der Grenzkantone Tessin, Genf, 
Basel unterstützt werden. Nach solchen Abreden kehrte Radowitz um Mitte 
Dezembers mit dem Grafen Colloredo zurück, um nochmals die Willens- 
meinung des Königs entgegenzunehmen. Friedrich Wilhelm war Feuer 
und Flamme. Er hatte soeben den verdienten Historiker Monnard sowie 
andere durch die Radikalen des Waadtlandes Vertriebene gastlich in Preußen 
aufgenommen und urteilte über sie: „alle sind sie liberale Schweizer; 
was allerdings etwas anderes wie liberale Deutsche heißt, da erstere 
freisinnige Ehrenmänner, letztere meistens ohne Ausnahme konstitutions- 
und majoritäts-anbetende Schöpse oder Intrigants sind.“**) Maßlos, 
bis zur Wut erregt, sah er in Bern das Zentrum des europäischen 
Radikalismus, der durch seine Genossen in ununterbrochener Kette bis 
nach Königsberg wirke; im schlimmsten Falle, so sagte er zu Colloredo, 
müßten Osterreich und Preußen allein das Brutnest der Revolution 
ausnehmen. Zu Weihnachten erschienen die beiden Bevollmächtigten so- 
dann in Paris, um den Boden zu erkunden; Radowitz überbrachte 
ein Schreiben seines Herrschers, das den Bürgerkönig als den erhobenen 
Arm der europäischen Monarchien verherrlichte. 
Mit diesem überschwenglichen Gruße stimmten die unheimlichen 
  
*7) Canitz an Bunsen, 16. Jan. 1848. 
**) König Friedrich Wilhelm an Bunsen, 8. Dez. 1847.
	        
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