Neuer Versuch einer europäischen Intervention. 739
Whigministerium unmöglich verborgen bleiben. Bunsen selbst war jetzt
ganz begeistert für die liberalisierende Politik Palmerstons, den er doch
früherhin wenig geliebt hatte; er fühlte sich glückselig in den fürstlichen
Schlössern der großen Whigfamilien, er merkte nicht, wie derb diese gütigen
Gastgeber ihn wegen seines ägyptischen, kirchlichen, philologischen, politi—
schen Allerweltsdilettantismus verspotteten, und sprach von der unauf-
löslichen englisch-preußischen Allianz mit einem solchen Feuereifer, daß
Canitz ihn schließlich sehr ernst zurechtweisen mußte: „Wenn man in Paris,
in Wien, in St. Petersburg glaubt, daß wir dem Einverständnis mit
England zu Liebe gemeinschaftliche Sache mit dem dermaligen britischen
Minister in den schweizerischen, italienischen, überhaupt in allen den
Händeln machen, wo der Radikalismus seine Fahnen aufpflanzt, so ist es
meine unzweideutige Schuldigkeit, dafür zu sorgen, daß man wisse: das
sei nicht die Politik des Königs und Seines Kabinetts, folglich solle und
könne es auch nicht die Seiner Gesandten sein.“)
Währenddem war Radowitz, als es längst zu spät war, in Wien
eingetroffen, um die Berufung der Neuenburger europäischen Konferenz
durchzusetzen und zugleich die deutschen Bundesreform-Vorschläge seines
königlichen Herrn zu überreichen. Die deutschen Pläne blieben schließlich
liegen, um der schweizerischen Händel willen. Über diese aber verständigte
man sich leicht: nötigenfalls sollte die Einmischung der Großmächte durch
eine Handelssperre, ja durch die Besetzung der Grenzkantone Tessin, Genf,
Basel unterstützt werden. Nach solchen Abreden kehrte Radowitz um Mitte
Dezembers mit dem Grafen Colloredo zurück, um nochmals die Willens-
meinung des Königs entgegenzunehmen. Friedrich Wilhelm war Feuer
und Flamme. Er hatte soeben den verdienten Historiker Monnard sowie
andere durch die Radikalen des Waadtlandes Vertriebene gastlich in Preußen
aufgenommen und urteilte über sie: „alle sind sie liberale Schweizer;
was allerdings etwas anderes wie liberale Deutsche heißt, da erstere
freisinnige Ehrenmänner, letztere meistens ohne Ausnahme konstitutions-
und majoritäts-anbetende Schöpse oder Intrigants sind.“**) Maßlos,
bis zur Wut erregt, sah er in Bern das Zentrum des europäischen
Radikalismus, der durch seine Genossen in ununterbrochener Kette bis
nach Königsberg wirke; im schlimmsten Falle, so sagte er zu Colloredo,
müßten Osterreich und Preußen allein das Brutnest der Revolution
ausnehmen. Zu Weihnachten erschienen die beiden Bevollmächtigten so-
dann in Paris, um den Boden zu erkunden; Radowitz überbrachte
ein Schreiben seines Herrschers, das den Bürgerkönig als den erhobenen
Arm der europäischen Monarchien verherrlichte.
Mit diesem überschwenglichen Gruße stimmten die unheimlichen
*7) Canitz an Bunsen, 16. Jan. 1848.
**) König Friedrich Wilhelm an Bunsen, 8. Dez. 1847.