72 V. 2. Die Kriegsgefahr.
immer in der ehrlichen Hoffnung, daß Frankreich den anderen Mächten
nicht widersprechen würde, immer mit dem ausdrücklichen Vorbehalt, daß
Preußen nur moralischen Beistand leisten könne.*)
Unterdessen gestaltete sich Frankreichs Lage höchst bedrohlich. Auf—
geregt durch die Pariser Presse schwärmte die gesamte Nation für den
aufgeklärten Mehemed Ali. Als man nun erfuhr, daß die vier Mächte
diesen Liebling Frankreichs ungerecht mißhandeln wollten, da ging ein
Aufschrei des Zorns durch das Land. Alles rief: England hat uns
verraten, die entente cordiale ist zerstört. *) In der Tat hatte der
schlaue Bürgerkönig, der die auswärtige Politik über die Köpfe des Ministe-
riums Soult hinweg leitete, diesmal sich von seinem persönlichen Hasse
betören lassen und ganz falsch gerechnet. Da er mit dem Todfeinde
Mehemed Alis, mit England sich über die orientalischen Wirren unmög-
lich einigen konnte, so mußte er mit Rußland und den deutschen Mächten
eine Verständigung suchen. Er konnte jedoch seinen Groll über die Hof-
fahrt des Zaren nicht überwinden und richtete alle seine Pfeile gegen
Rußland. Wieder und wieder mußte Soult in spitzigen Depeschen er-
klären, die Integrität der Türkei sei nur ein leeres Wort, wenn ihr nicht
auch die Unabhängigkeit — das wollte sagen: die Unabhängigkeit von
Rußland — gesichert würde. Nesselrode rieb sich die Hände und gab
eine hochmütige Antwort.**?“) Während Ludwig Philipp sich also in
einen unfruchtbaren Federkrieg gegen den Zaren verbiß, bemerkte er kaum,
wie England und Rußland einander näher traten. Da mit einem Male
stand er zwischen zwei Feuern: der englische Freund war zu dem russi-
schen Feinde übergegangen, und die Verständigung der beiden Mächte war
in sehr rücksichtsloser Form geschehen, ohne daß man den französischen
Gesandten auch nur einer genauen Mitteilung gewürdigt hätte.
Die Stellung des Tuilerienhofes ward noch schwieriger, als im Februar
1840 — wieder durch des Königs Schuld — das gemäßigte, bei den
Höfen leidlich angesehene Ministerium Soult zusammenbrach. Ludwig Phi-
lipp hatte einst — den uralten Gesetzen des Landes zuwider — das unge-
heuere Vermögen der Orleans, das von Rechts wegen der Krone Frankreich
gehörte, seinen Kindern abgetreten, und durfte jetzt nicht erwarten, daß die
Nation geneigt sein würde, den so schmählich geretteten Reichtum des unge-
liebten königlichen Hauses noch zu vermehren. Gleichwohl verlangte der
König, als sein zweiter Sohn der Herzog von Nemours sich mit der reichen
Prinzessin von Koburg-Kohary verlobt hatte, von den Kammern eine Jahres-
rente für das junge Paar. Allgemein war der Unwille. Die Presse verdäch-
*) Brunnow an Werther d. J. 23. Jan.; Min. Werther, Weisungen an Arnim
in Paris, 22. Jan., an Werther d. J 27. 31. Jan. 1840.
*“) Arnims Berichte, Paris 12. 16. 22. Jan. 1840.
*“*) Soult, Weisung an Sebastiani, 25. Nov. Nesselrode, Weisung an Medem,
26. Dez. 1839.