Full text: Auswahl für das Feld.

taugt so wenig wie die andere; der Streit betrifft, wie Falstaff 
sagt, eine gar nicht aufzuwerfende Frage. Denn alle Welt gibt 
zu, daß ein Verhältnis gegenseitiger Rechte und Pflichten den 
Staat mit seinen Bürgern verbindet. Zwischen Wesen aber, welche 
sich zueinander nur wie Mittel und Zweck verhalten, ist eine 
Gegenseitigkeit undenkbar. Der Staat ist sich selbst Zweck wie 
alles Lebendige: denn wer darf leugnen, daß der Staat ein ebenso 
wirkliches Leben führt wie jeder seiner Bürger? Wie wunderlich, 
daß wir Deutschen aus unserer Kleinstaaterei heraus einen Fran— 
zosen und einen Engländer mahnen müssen, größer zu denken vom 
Staate! Mill und Laboulaye leben beide in einem mächtigen, 
geachteten Staate, sie nehmen diesen reichen Segen hin als selbst— 
verständlich und sehen in dem Staate nur die erschreckende Macht, 
welche die Freiheit des Menschen bedroht. Uns Deutschen ist 
durch schmerzliche Entbehrung der Blick geschärft worden für die 
Würde des Staats. Wenn wir unter Fremden nach unserem 
„engeren Vaterlande“ gefragt werden, und bei den Namen Reuß 
jüngerer Linie oder Schwarzburg-Sondershausens Oberherrschaft 
ein spöttisches Lachen um die Lippen der Hörer spielt, dann 
empfinden wir wohl, daß der Staat etwas Größeres ist als ein 
Mittel zur Erleichterung unseres Privatlebens. Seine Ehre ist 
die unsere, und wer nicht auf seinen Staat mit begeistertem Stolze 
schauen kann, dessen Seele entbehrt eine der höchsten Empfin— 
dungen des Mannes. Wenn heute unsere besten Männer danach 
trachten, diesem Volke einen Staat zu schaffen, welcher Achtung 
verdient, so beseelt sie dabei nicht bloß der Wunsch, fortan ge— 
sicherter ihr persönliches Dasein zu verbringen; sie wissen, daß 
sie eine sittliche Pflicht erfüllen, welche jedem Volke auferlegt ist. 
Der Staat, der die Ahnen mit seinem Rechte schirmte, den die 
Väter mit ihrem Leibe verteidigten, den die Lebenden berufen sind 
auszubauen und höher entwickelt Kindern und Kindeskindern zu 
vererben, der also ein heiliges Band bildet zwischen vielen Ge— 
schlechtern, er ist eine selbständige Ordnung, die nach ihren eigenen 
Gesetzen lebt. Niemals können die Ansichten der Regierenden 
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