Tante Luise, die in allem ihr Widerschein war — mir in dieser schwie—
rigen Zeit ein fester Rückhalt gewesen. In repräsentativer Beziehung
hatte meine Großmutter wohl etwas Katholisierendes an sich, z. B.
hatte sie eine Hauskapelle eingerichtet, doch vermochte das nie Ein—
fluß auf ihre Glaubensrichtung zu gewinnen. Diese Neigungen sind
zweifellos die Reaktion auf die rationalistische Zeit gewesen, die sie
miterlebt hatte.
In späteren Jahren mußte ich meine Großmutter immer am Arm
führen, wenn sie Cercle abhielt. Damals fanden bei den Hoffesten
noch Steh= und Sprechcouren statt, die äußerst anstrengend waren.
Erst nach dem Unfall meiner Großmutter ist der Hof zu Defllier-
couren übergegangen, wie ich sie zu meiner Zeit grundsätzlich ein-
geführt habe. Ich habe bei senen Sprechcouren immer die große
Kunst bewundern müssen, mit der meine Großmutter fedem in hübscher
FCorm etwas Verbindliches und doch Individuelles zu sagen verstand.
Sie war in dieser Kunst in ihrer Jugend besonders erzogen worden,
als sie noch ein vierzehnfähriges Kind war, wurden zu ihrem Unter-
richt eine Anzahl leerer Stühle aufgestellt, die sie als bestimmte
Personen zu betrachten und entsprechend anzureden hatte. Ich habe
das Glück gehabt, meine Großmutter fahrelang führen zu dürfen,
bis sie infolge ihres Leidens in den Nollstuhl kam und gefahren
werden mußte.
Von meinen Besuchen bei der Kaiserin auf ihrem Schloß in
Koblenz, das sie so sehr liebte und dessen Anlagen am Nhein sie
selbst geschaffen hatte, werde ich an einer anderen Stelle zu sprechen
haben. Sie pflegte dort gern den rheinischen Adel heranzuziehen,
immer bemüht, geistige Brücken zu schlagen. Im Herbst weilte sie
gewöhnlich in Baden-Baden, wo sie im Meßmerschen Hause zu
wohnen pflegte. Zu ihrem Geburkskage am 30. September kam
stets die ganze Familie hin, und es wurden dann schöne Ausflüge
und Picknicks veranstaltet. Meine Großmutter machte bei diesen
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