Full text: Kaiser Wilhelm II. Aus meinem Leben 1859-1888.

in hohem Grade verstand, die Leute zu bezaubern. Mesne Groß-= 
eltern hatten ihn außerordentlich gern und unterhielten zu ihm von 
alten Zeiten her ein inniges Vertrauensverhältnis. Meine Eltern 
sind oft nach Tisch hingefahren und haben mich manches Mal mit- 
genommen, denn Frau Marie v. Schleinitz, allgemein „Mimi“ ge- 
nannt, war eine intime Freundin meiner Mutter. Sie war eine 
literarisch hochgebildete und ungemein geistvolle Dame, iteratur, 
Kunst und Politik, vor allem ein begeisterter Wagnerkult hatten eine 
Pflegestätte im vielberühmten „Salon Schleinitz“ in der Wilhelm- 
straße Nr. 73 gefunden. Als Offizier bin ich auf Anraten meiner 
Mutter oft Sonntags in dem Salon gewesen und habe mich in der 
eigenartigen Atmosphäre stets wohl gefühlt. 
Den Hofmarschall Graf Perponcher habe ich nur auf Hoffesten 
und bei feierlichen Gelegenheiten zu sehen bekommen, er waltete 
seines Amtes mit der vollendeten Grazie eines Hofmarschalls des 
ancien régime. Sehr verehrt habe ich die Palastdame Gräfin Ortola, 
eine gelstvolle Dame von zierlicher kleiner Figur, der unverkennbar 
portugkesisches Blut in den Adern floß, und die doch zur echten 
Preußin geworden war. Mich hat sie auf dem glatten Parkett des 
Hofes mit der ihr eignen Herzensgüte unter ihre Fittiche genommen 
und sich damit mein dankbares Gedenken gesichert. Dagegen war 
man sich über eine andere Hofdame allgemein einig, daß sie trotz 
aller treuen Anhänglichkeit an ihre Kaiserin eigentlich nicht an einen 
Hof gehörte. Sehr bezeichnend ist der Spitzname, den sie führte: 
„das preußische Häkchen“. 
Und mit dem preußischen Häbchen schließe nun der Reigen histo- 
rischer Gestalten an dem Hofe Kaiser Wilhelms I. 
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