Full text: Kaiser Wilhelm II. Aus meinem Leben 1859-1888.

wortschreiben nach Warschau geschickt, nach dessen Empfang der Zar 
eine persönliche Zusammenkunft mit meinem Großvater in Alexan- 
drowo, also auf russischem Gebiet, für den 3. September vorschlug. 
Am 2. September war große Parade auf dem Tempelhofer Felde, 
zu der ich aus dem Palais meines Großvaters die Fahnen abgeholt 
hatte. Während die Barade in vollem Gange war, ging plößlich 
die Kunde von dem Angebot des Zaren von Mund zu Mund und — 
daß der Kaiser es angenommen hätte! Auf allen Gesichtern war 
Bestürzung zu lesen, alle waren aufs außerste erregt: „ein neues 
Olmütz“, hieß es allgemein, und überall wurde Manteuffel die Schuld 
an dieser Schlappe gegeben. Mein Bater war verzweifelt, aber 
auch Kaiserin Augusta zeigte sich tief bedrückt. 
Am 4. September fuhr ich mit meiner Großmutter, meinem Vater 
und zahlreichen hohen Offizieren nach Dirschau, um meinen Groß- 
vater auf der Rückreise aus Alexandrowo einzuholen, in Königsberg 
sollte am nächsten Tage Parade des I. Armeekorps sein und daran 
sich das Korpsmanöver anschließen. Die Stimmung in Dirschau 
war recht trübe und niedergeschlagen; sie wurde es noch mehr, als 
wir erfuhren, daß der russische Kriegsminister Milfutin, der bekannte 
Kriegshetzer und Deutschenfresser, auch in Alexandrowo gewesen war 
und sogar auf Manteuffels Betreiben den Schwarzen Adlerorden 
erhalten hatte! Mein Großvater dagegen zeigte sich sehr befriedigt 
von der Aussprache, der Zar hätte erklärt, daß er keineswegs habe 
drohen wollen, daß er bei uns mißverstanden sei, daß es sich um 
einen Brivatbrief gehandelt habe und er ihn unter diesen Umständen 
als ungeschrieben anzusehen bäte. Die Freundschaft meines Groß- 
vaters für Rußland war nach dieser Aussprache offenbar fester denn 
se. Alle anderen aber, Kalserin Augusta nicht ausgeschlossen, blieben 
in schwerer Sorge über dieses Ereignis. 
Daß auch Fürst Bismarck, der zu sener Zeit in Gastein weilte, 
über die von ihm nicht gebilligte Zusammenkunft sehr beunruhigt 
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