Full text: Kaiser Wilhelm II. Aus meinem Leben 1859-1888.

war, Tausende von wehrhaften deutschen Männern zu leiten. Nur 
auf der Grundlage einer sorgfältigen moralischen und körperlichen 
Einzelerziehung war ein solches Ergebnis überhaupt denkbar. Meine 
alten Kameraden werden mir zustimmen, wenn sie sich daran erinnern, 
welches Maß von „Sichzusammenreißenkönnen“ dazu gehörte, nach 
erheblichen körperlichen Strapazen den Willen aufzubringen, für die 
den Gefechtsübungen folgenden parademäßigen Vorbeimärsche den er- 
schlafften Geist und die ermatteten Glieder in schärfste Zucht zu neh- 
men. Das WVollbringen solcher Leistung stärkte das Selbstgefühl, er- 
weckte das VBertrauen zum eigenen Können und erzog damit zum 
Siegeswillen und Siegesvertrauen. 
Die parademäßigen Vorführungen waren also zwar nicht das 
einzige, aber ein sehr wesentliches Hilfsmittel zur Erzielung und 
Prüfung der Manneszucht, d. h. der Einordnung des Einzelwillens 
in und unter einen die Gesamtheit repräsentierenden höheren Willen. 
Zu meiner Genugtuung erkennen das auch ganz moderne Ausbildungs- 
vorschriften an, die auf Grund der Kriegserfahrung besagen, daß 
„die Manneszucht gefestigt wird durch Genauigkeit bei der Einübung 
und Anwendung der Formen, welche die Borschriften verlangen, daß 
Ordnung und Zusammenhalt zur zweiten Watur der Truppe werden 
müsse, daß der Soldat, überzeugt von der Notwendigkeit unbeding- 
ten Gehorsams und strammer Zucht, sich freudigen Herzens ihnen 
fligen und wissen müsse, daß sie eine Wohltat für alle seien“. 
Die besten Führer im Weltkriege haben mir bestätigt, daß die 
unerhörten Leistungen unserer Truppen, namentlich bei den großen 
Operationen in den Jahren 1914 und 1915 nur durch unsere traditio- 
nelle Methode einer spstematischen Erzichung zur Manneszucht und 
ihrer dauernden Bflege möglich gewesen sind. Auf dieser Erziehung 
baute sich im wesentlichen unsere tatsächliche taktische und moralische 
Uberlegenheit sowie das notwendige Bewußtsein von dieser Uber- 
legenheit auf. 
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