Full text: Kaiser Wilhelm II. Aus meinem Leben 1859-1888.

die bleinen Zwischenfälle den Gesamteindruck dieser einzigartigen Ju- 
blläumsfeier nicht zu stören. 
Bei der stattlichen Zahl der geladenen VFürstlichkeiten, die sämt- 
lich im Schloß der Königin unterzubringen unmöglich war, mußte 
die Gastfreundschaft des britischen Hofstaates ausgiebig in Anspruch 
genommen werden. So wurden meine Gemahlin und ich zunächst 
bei Lord Cadogan untergebracht. Unter seinen weiteren Gästen be- 
fand sich eine éußerst interessante, lebhafte und anregende Dame, die 
einmal meine Tischnachbarin wurde. Es war Lady Maria Ailesbury, 
die in ihrer Zugend noch die Krönung meiner Großmutter miterlebt 
hatte. Als ich, mit 28 Jahren der Jüngste aus der Gesellschaft, be- 
stimmt wurde, sie, die Alteste, zu Tisch zu führen, war allgemeines 
Erstaunen. Bei der Tafel erwies sich diese Anordnung entgegen der 
Erwartung als für mich höchst ergötzlich, und ich wurde gleich meinem 
Schwager, dem Erbprinzen von Meiningen, der der Lady zur Rechten 
saß, von ihrer geistvollen, mit kleinen Bosheiten gepfefferten Unter- 
haltung in höchstem Grade gefesselt. In sprühendem Durcheinander 
schilderte sse uns höfische und gesellschaftliche Ereignisse aus der 
Regierungszeit meiner Großmutter, wobei sie derart treffende und 
witzige Charakteristiken entwarf, daß wir aus dem Lachen nicht 
herauskamen. Der Erfolg war, daß die gesamte Tischgesellschaft 
ihre eigene Konversation einstellte, mit neidischen Blicken nach uns 
hinüberschaute und an den Konfidenzen der Ladp Ailesbury teilzu- 
nehmen versuchte. « 
Ein anderes Mal waren wir bei Mr. Goschen zu Tisch, der 
später einer der hervorragendsten Marineminister Englands wurde. 
Er stammte aus dem bekannten Berlagshause Göschen in Leipzig, 
das er häufig zu besuchen pflegte, er sprach daher ebenso wie seine 
Kinder fließend Deutsch und bediente sich den Herren und Damen 
unseres Gefolges gegenüber aus Höflichkeit dieser Sprache. Unter 
seinen Tischgästen traf ich Lord Lpytton (Bulwer), einen Sohn des 
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