wäre auch eine Auffassung wie die des Generals Bronsark v. Schellen-
dorff kaum möglich gewesen.
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Im Juni desselben Jahres habe ich die Marine-Infanterieuniform
in England bei dem Krönungsfubiläum meiner Großmutter, bei der
Glottenschau auf der Reede von Spithead und bei einem großen
Empfang der Stadt London tragen können. Im September erwies
mein Großvater meiner Frau die Ehre, daß sie die in Kiel vom
Stapel laufende Korvette auf ihren Namen „BPrinzeß Wilhelm“
taufen durfte.
VIII.
Dem Geiste des Bündnisses zwischen Deutschland und Österreich-
Ungarn entsprechend, waren sich auch die jüngeren Mitglieder der
Häuser Hohenzollern und Habsburg nähergetreten. Mit dem Kron-
prinzen Rudolf war ich, wie geschildert, seinerzeit anläßlich der Wiener
Weltausstellung bekannt geworden und hatte seitdem mit ihm gute
Kameradschaft zu unterhalten gesucht. Er war eine anregende, kluge
und in ihrer frischen Lebhaftigkeit fesselnde Matur, voll sprudelnden
Humors, freilich auch nicht ohne eine recht beträchtliche satirische Ader.
Wir waren beide große Naturfreunde und auch der Jagdleidenschaft
ergeben, Rudolf war zudem ein kenntnisreicher Zoologe, speziell Or-
nithologe. Zu meinem Leidwesen mußte ich aber im Laufe der Jahre
bemerken, daß er es mit der Religion nicht eben ernst nahm, und
es war mir schmerzlich, wenn mein Kamerad auch über die Kirche
und Geistlichkeit wie über den schlichten Glauben des Kandvolks die
Lauge seines spöttelnden Witzes ausgoß. Auch andere Charakter-
schwächen konnten mir nlcht verborgen bleiben, und so kam es, daß
mein ursprüngliches Vertrauen schwand und daß wir mit der Zelt
mehr und mehr auseinander gerteten. Hinzu trat, daß ich allmählich
erkennen mußte, wie wenig der Kronprinz innerlich dem neuen Deut-
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