Full text: Kaiser Wilhelm II. Aus meinem Leben 1859-1888.

schen Reiche und dem Zweibunde geneigt war, vor allem die Idee des 
Preußentums war ihm in der Seele verhaßt. Aus allen diesen Gründen 
wurden unsere Beziehungen kühler und schließlich auf beiden Seiten 
lediglich unter dem Gesichtspunkt politischer Notwendigkeiten gepflegt. 
Mein BVerhältnis zu Katser Franz Josef ist dagegen immer außer- 
ordentlich eng und herzlich gewesen. Ich darf wohl sagen, daß ich 
vom Kaiser fast wie sein eigener Sohn behandelt wurde ich wiederum 
blickte vom ersten Tage unserer Bekanntschaft an zu dem Berbün- 
deten meines Großvaters und Baters mit der Berehrung und Liebe 
auf, welche die ehrwürdige Bersönlichkeit eines solchen Greises der 
Jugend abfordern muß. Der alte Kaiser war für mich ein leuchten- 
des Borbild in der Ergebung und Glaubensfestigkeit, mit der er alle 
schweren Schicksalsschläge trug, und in seinem geradezu sprichwört- 
lichen Bflichtgefühl, mit dem er rastlos für das Wohl seiner Völker 
arbeltete. Die Art meiner Beziehungen zu Kaiser Franz Josef ist 
keinem Wandel unterworfen gewesen. Ich habe den edlen Herrscher 
in Ehrfurcht stets als meinen väterlichen Freund angesehen, und es 
bestand zwischen uns über alle Zeiten hinweg ein inniges Verhältnis 
gegensektigen Vertrauens, das bis zur Stunde gewährt hat, da er 
sein Haupt im Tode neigte. 
Kaiser Franz Josef, der auch Bate meines ältesten Sohnes war, 
zeichnete von Anfang an meine Frau mit besonderer Liebenswürdig- 
keit aus, die die ganze Rltterlichkeit seines vornehmen Wesens 
zur Geltung brachte. Als mein Sohn großfährig wurde, ließ der 
hohe Pate es sich nicht nehmen, persönlich zu erscheinen, um seine 
Glückwünsche zu überbringen. Als ein rührender Zug sei erwähnt, 
daß, als beim Mittagsmahl meine Frau dem Kaiser das „Du“ an- 
trug, das bisöher noch nicht gebraucht worden war, der hohe Herr 
mir sogleich von dieser „Ehrung“, wie er es nannte, Kenntnis gab. 
Es muß dem des einzigen Sohnes und seiner Gattin beraubten Katser 
hoch angerechnet werden, daß er sich zu diesem Besuch verstanden 
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