Full text: Kaiser Wilhelm II. Aus meinem Leben 1859-1888.

nämlich im Juli 1887 gegen den Einspruch Rußlands, das einen 
russischen General als Regenten in Sofia haben wollte, den Prinzen 
Ferdinand von Koburg zum Fürsten gewählt. Wieder von dem Be- 
streben geleitet, Rußland nicht vor den Kopf zu stoßen, hatte Deutsch- 
land den Fürsten nicht anerkannt. Nun waren dem Zaren gefälschte 
Briefe in die Hände gespielt worden, aus denen hervorging, daß 
Bismarck insgeheim doch die Koburgische Kanditatur gefördert und 
dem Prinzen für die Zukunft den deutschen Beistand zugesichert hatte. 
In dieser hochgespannten Situation kam Zar Alexander III. mit 
Gemahlin und Thronfolger auf der Rückreise von Dänemark im 
November nach Berlin. 
Ich fuhr dem russischen Kaiserpaar bis Wittenberge entgegen, 
während der offizielle Empfang in Berlin auf dem Lehrter Bahnhof 
stattfand. Die Stimmung zwischen den russischen Majestäten und 
meinen Angehörigen war nicht die beste, die allgemeine politische 
Spannung zwischen beiden Ländern übertrug sich auch auf das persön- 
liche Berhältnis. Bezeichnend ist auch, daß der Zar es ablehnte, 
im Schloß Wohnung zu nehmen, sondern wie sonst in der Russischen 
Botschaft abstieg. 
Hier hatte Bismarck am Nachmittag eine längere Unterredung 
mit Kaiser Alexander und klärte ihn mit Leichtigkeit über die Natur 
der Bulgarischen Fälschungen auf. Der Zar äußerte sich nachher 
auch sehr befriedigt über die Beseitigung des Mißverständnisses, aber 
lange angehalten hat die freundliche Stimmung nicht. 
Von diesem Zarenbesuch ist noch des Zwischenfalls Erwähnung 
zu tun, der sich bei der Tafel ereignete. Gürst Bismarck war näm- 
lich durch die Tischordnung nicht, wie üblich, als Reichskanzler dem 
Zaren gegenüber, sondern auf die sogenannte „Blutseite“, d. h. seinem 
fürstlichen Range entsprechend auf die Seite der Fürstlichkeiten gesetzt 
worden, wo der Zar ihn nicht sehen konnte. Bismarck war über 
diese Anordnung sehr erregk, und in der Tat kann man nicht wissen, 
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