Full text: Zeitschrift für die gesammte Staatswissenschaft. Neunter Band. Jahrgang 1853. (9)

vom Asyle. 527 
der nicht enthalten, welcherlei Lebenszwecke sich auch ein Volk 
gesteckt haben mag. Und wenn Vattel darauf, dass ein Ver- 
bannter doch irgendwo leben müsse, eine (freilich nicht unbe- 
dingte) Verpflichtung zur Aufnahme gründen will, so ist nicht 
nur einleuchtend, dass aus diesem thatsächlichen Bedürfnisse noch 
keineswegs eine Rechtspflicht für einen bestimmten Staat ent- 
stünde; sondern namentlich auch, dass eine Berechtigung, sich 
irgendwo der gesetzlichen Strafe für begangene Handlungen zu 
entziehen, überhaupt nicht anerkannt werden kann. Hierbei soll 
keineswegs geläugnet werden, dass in einzelnen Fällen eine 
sittliche Pflicht bestehen mag, gewisse Flüchtlinge aus gewissen 
Staaten aufzunehmen; allein eben weil es nur eine sillliche Pflicht 
ist, entsteht daraus kein Recht für irgend Jemand. — Dagegen 
kann im Allgemeinen einem Staate das Recht nicht abgespro- 
chen werden, Solche in seinem Gebiete zuzulassen, welche bis- 
her einem andern Staate angehörten, und sie auch, wenn er es 
für gut findet, bleibend unter seine Bürger aufzunehmen. Eine 
solche Zulassung ist nicht etwa schon eine unbefugte Handlung 
an sich; vielmehr liegt es im Begriffe des Staates, alle Diejenigen, 
welche sich seiner concreten Lebensauffassung anschliessen und 
thatsächlich sein Gebiet bewohnen, zu einer Einheit zu vereinigen. 
Ebenso kann auch der bisherige Staat des Aufzunehmenden miit 
Grund eine Einwendung nicht erheben, indem der Mensch nicht 
Leibeigener der Gesellschaft ist, welcher er zu Erreichung seiner 
Lebenszwecke angehörte, sondern eine unveräusserliche Befug- 
niss hat, sich von ihr zu trennen, wenn er sich durch dieselbe 
nicht befriedigt findet, und eine geeignetere aufzusuchen. Mögen 
auch einzelne Staaten eine solche Unlösbarkeit der Unterthanen- 
verbindung aufstellen, so ist diess kein aus allgemeinen Gründen 
zu vertheidigendes Recht, sondern Gewalithätigkeit oder Stolz. 
Eine allgemeine Bannung in das zufällige Geburtsland ist zu 
gleicher Zeit ein Frevel an der einzelnen Persönlichkeit; ein 
Hinderniss der allmähligen Gesittigung der Erde; endlich eine 
Verurtheilung zur Erduldung jeder noch so entsetzlichen Gewalt- 
herrschaft. Und jeder Staat, welcher dem Rechte, Fremde auf- 
zunehmen, im Allgemeinen und grundsätzlich entsagte, würde sich 
dadurch zum Milschuldigen jeder noch so unverantwortlichen
	        
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