52 Die Gründe der Oktroyierung.
Minister sind hierzu wahrscheinlich schon bei ihrem Amtsantritt, Anfang
November, entschlossen gewesen und haben nur noch auf einen guten
Kriegsgrund gewartet, um den Kampf gegen die Nat Vers aufzunehmen.
Diesen casus belli, den denkbar besten, lieferte ihnen dann die Ver-
sammlung durch ihren unleugbar revolutionären Beschluß vom 15. No-
vember (oben 44) wodurch sie dem Ministerium die Staatskassen sperren
und das Recht, die Steuern zu erheben, entziehen wollte. Jetzt wollten
die Minister sofort auflösen und oktroyieren, setzten dies freilich bei dem
König nicht sogleich durch, der noch einen letzten Verständigungsversuch
durch Vertagung und Verlegung der Nat Vers nach Brandenburg machen
wollte, und sich dem Willen seiner Ratgeber erst fügte, nachdem auch
dieser letzte Versuch gescheitert war.
Die nächste Veranlassung der Oktroyierung lag also jedenfalls in
innerpreußischen Verhältnissen, in der Notwendigkeit innerpolitischer
Beruhigung, und hieraus erklärt sich auch der oft hervorgehobene ver-
hältnismäßig liberale Gesamtcharakter der oktroyierten Verfassung ohne den
eben der angestrebte Beruhigungszweck nicht erreicht worden, die Re-
gierung ohne das Vertrauen im Lande geblieben wäre, welches sie brauchte
und nicht entbehren wollte. In zweiter Linie mögen dann allerdings auch
nach auswärts gerichtete, deutsche Gedanken mitgespielt, wenngleich
nicht entscheidend mitgewirkt haben. Nur daß diese Gedanken sich in
einer Richtung bewegten, die der des Frankfurter Parlaments gerade-
wegs entgegengesetzt war. Die Paulskirche wollte ein Aufgehen, die
preußische Regierung dagegen, soweit sie noch von deutschem Ehrgeiz
beseelt war, die Vorherrschaft Preußens in Deutschland. Und um
Preußen für diese Vorherrschaft stark zu machen, dazu sollte die in
erster Linie aus innerpolitischen Gründen bewirkte Einführung des
Konstitutionalismus auch mit dienen. Wie es das vorhin angeführte
Flugblatt einfach und schön sagt: „Die Lage des Vaterlandes, die
Weltlage erfordert ein starkes, ein geordnetes Preußen. Stark aber
ist nur ein freies Preußen.“ —
Die Entstehung des Textes der oktr V ist im einzelnen wenig
bekannt. Ein formulierter vollständiger Entwurf wurde dem König, wie
aus Gerlachs Denkwürdigkeiten 1 245 hervorgeht, zuerst am 20. oder
21. November 1818 überreicht (laus den Privatakten des Ministers
v. Manteuffel veröffentlicht von Poschinger, Denkwürd. Manteuffels 1
47 ff.). Bei seiner Ausarbeitung war (auf Veranlassung des Unter-
richtsministers v. Ladenberg) Keller, Professor des römischen Rechts in
Berlin, sowie vielleicht auch der frühere sächsische Minister v. Carlowitz,
der nachmals in preußische Dienste übertrat und im Erfurter Parla-