Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

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nicht ganz abgesprochen werden kann. Das Schwer- 
gewicht der formellen und materiellen Belastung 
des neueren Grundbesitzes beruht auf Rechtsge- 
schäften zur Beschaffung des Kredits und besteht 
in Hypotheken und Grundschulden. 
Aus einer Verbindung der Immobiliarsatzung 
des späteren deutschen Rechts (Weichbildsatzung) 
mit der römisch-rechtlichen Hypothek ist das Rechts- 
institut der von den Grundsätzen der Publizität, 
Spezialität und Priorität beherrschten modernen 
Hypothek hervorgegangen. In den deutschen 
Partikulargesetzgebungen ist das Rechtsinstitut der 
Grundschuld neben die Hypothek getreten. 
Beide Institute sind in das B.G.B. übergegangen. 
Überdies wurde im B.G.B. in Annäherung an 
frühere Verhältnisse auch die Rentenschuld als 
besondere Form der Grundbelastung anerkannt. 
Nach gemeinem und partikularem Recht kommt 
der Hypothek akzessorische Natur zu, d. h. sie ist 
ein dingliches Recht, welches lediglich zur Siche- 
rung eines Forderungsrechts dient und deshalb in 
seinem Bestande — allerdings modifiziert durch 
das Prinzip der Publizität — von dem Bestande 
des Forderungsrechts abhängt. Im Gegensatze 
hierzu stellt die Grundschuld eine selbständige 
Belastung eines Grundstücks dar. Das B. G. B. 
(ogl. 88§ 1113 ff, 1191 ff) kennt sowohl die Hypo- 
thek wie die Grundschuld; die Hypothek des B.G.B. 
nähert sich aber wesentlich der Grundschuld. Der 
rein akzessorische Charakter erscheint lediglich noch 
in einer Unterart der Hypothek, der sog. Siche- 
rungshypothek (88 1184 ff) gewahrt. Die 
Rentenschuld (88 1199 ff), welche darin be- 
steht, daß in regelmäßig wiederkehrenden Ter- 
minen eine bestimmte Geldsumme aus dem Grund- 
stücke zu bezahlen ist, trägt im allgemeinen den 
rechtlichen Charakter der Grundschuld an sich, wie 
denn auch die Bestimmungen über die Grund- 
schuld entsprechende Anwendung zu finden haben. 
Die Rentenschuld erscheint aber losgelöst von den 
Reallasten, die gleichfalls noch im B. G. B. 
(§§ 1105 ff) behandelt sind. Das B.G.B. be- 
  
schränkte sich aber im Hinblick auf die Mannig- 
faltigkeit des derzeitigen Rechtszustandes wie die 
örtliche Verschiedenheit der wirtschaftlichen Bedürf- 
nisse auf die Erlassung ganz allgemeiner Bestim- 
mungen, ohne auf den Inhalt der Reallasten ein- 
zugehen. Es hat sohin in dieser Beziehung sowie 
bezüglich der Ablösung und Umwandlung der 
Reallasten bei den landesgesetzlichen Vorschriften 
zu verbleiben (vgl. Einf. Ges. zum B.G. B. Art. 96, 
113—1156, 120, 121, 1329. 
Eine auch heute noch häufig vorkommende Real- 
last ist das Leibgedinge. Es bildet eine Gegen- 
leistung für die Uberlassung eines bäuerlichen Gu- 
tes und umfaßt teils die Gewährung eines Wohn- 
rechts teils die Einräumung des Nießbrauchs am 
ganzen Gut oder an einzelnen Teilen desselben, 
teils beides zusammen. Nur wenn der Auszügler 
(Altsitzer) fortlaufende Leistungen zu fordern be- 
Grundlasten. 
  
  
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(Einf.Ges. Art. 96) hat die sehr verschiedenen par- 
tikularrechtlichen Grundlagen nicht aufgehoben. 
Um die derzeitigen Belastungsverhältnisse von 
Grund und Boden zu beurteilen, genügt es nicht, 
die abstrakten rechtlichen Formen der Belastung zu. 
kennen, sondern es wäre noch eine möglichst ge- 
naue und vollständige Darstellung des Umfanges 
der konkreten Beschwerung, der tatsächlichen An- 
wendung der einzelnen Formen erforderlich. Es 
ist Sache der Statistik, die einschlägigen Verhält- 
nisse zu registrieren und zu einem übersichtlichen 
Gesamtbilde zu vereinigen. Die Verschuldungs- 
statistik der einzelnen Staaten reicht aber zur Auf- 
stellung eines solchen Gesamtbildes noch in keiner 
Weise hin. Der Mangel einer solchen ausreichen- 
den Statistik ist zu bedauern, er ist aber in den 
außerordentlichen Schwierigkeiten, welche eine zu- 
verlässige Feststellung der Zahlen bietet, begründet. 
In einzelnen Staaten wurde allerdings diesem 
Mangel abzuhelfen versucht; da aber die Art der 
Ausführung dieses Versuchs in den einzelnen Län- 
dern wieder ganz verschiedene Wege einschlägt und 
bald mehr bald minder tiefgreifend erscheint, so 
muß vorerst noch auf ein zuverlässiges Gesamt- 
bild verzichtet werden. 
5. Wirkung der Ablösung. Die durch 
die Grundentlastung herbeigeführte Erleichterung 
des ländlichen Grundbesitzes war zunächst von un- 
gemein wohltätiger Wirkung für den Bauernstand 
begleitet. Sie war gleichbedeutend mit einer Herab- 
minderung der landwirtschaftlichen Produktions- 
kosten und führte im Zusammenhange mit der um 
die Mitte des 19. Jahrh. rasch anwachsenden Be- 
völkerungsziffer und der hierdurch wie durch Eng- 
land hervorgerufenen starken Nachfrage nach land- 
wirtschaftlichen Erzeugnissen zu einer Steigerung 
der Grundrente. Schon in den 1860er Jahren 
ließen jedoch die Erträgnisse der Landwirtschaft 
nach, die Industrie begann zu erstarken, und das 
Kapital wandte sich dieser zu. Die Arbeitskräfte 
strömten nach den Industriezentren ab, die Löhne 
stiegen, die Steuerleistungen insbesondere zur Auf- 
rechterhaltung von Wehreinrichtungen wuchsen, die 
Ausbildung der Verkehrswege erschloß entfernte 
fruchtbare Gegenden und schuf eine ungeahnte Kon- 
kurrenz, kurz, man stand auf einmal vor ganz ver- 
änderten Verhältnissen. Sinken des Reinertrags 
der Güter, allmählicher Rückgang der Lebenshal- 
tung der Bevölkerung, Vernachlässigung einer oft 
dringend gebotenen intensiven Betriebsweise, Ver- 
ringerung des Betriebskapitals, Zunahme der 
Verschuldung und Anwachsen der Ziffer der 
Zwangsversteigerungen: das sind die wichtigsten 
Symptome, welche das Vorhandensein des oft 
geleugneten Notstandes der landwirtschaftlichen 
Bevölkerung anzeigen. 
Die Ablösungsgesetzgebungen haben lediglich die 
alten Schranken beseitigt, sie haben damit auch 
manches Gute weggefegt, ohne etwas Besseres, 
ohne überhaupt etwas an dessen Stelle zu setzen. 
rechtigt ist, besteht eine Reallast. Das B.G. B. Unter dem Einflusse des damals herrschenden öko-
	        
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