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mit einem Bruchteil (/10). Durch die Steuer-
einschätzung hat ferner das Liegenschaftsvermögen
infolge der allgemeinen Steigerung der Grund-
stück= und Gebäudewerte eine durchschnittliche
höhere Belastung von mehr als 100% erfahren.
Diese Steuerpolitik wird folgendermaßen zu recht-
fertigen gesucht.
Die Gemeinde sei vorzugsweise ein wirtschaft-
licher Verband, dessen gesamte Tätigkeit zur He-
bung wirtschaftlicher und sozialer Interessen, zur
Verschönerung der Umgebung, zur Ergreifung
aller die Annehmlichkeit des Aufenthalts der Be-
wohner erhöhenden Maßnahmen vorwiegend den
Grund= und Hausbesitzern und den Gewerbe-
treibenden zugute komme. Die Wirkungen der
Gemeindetätigkeit begründeten eine Wertzunahme
des Grund und Bodens und der Gebäude sowie
eine gesteigerte Ergiebigkeit des Gewerbebetriebes
innerhalb der Gemarkungen und rechtfertigten es
daher, die hier angelegten Vermögenswerte stärker
zur Gemeindebesteuerung heranzuziehen als das
Einkommen und den Kapitalbesitz. Diese Wert-
zunahme mache sich geltend ohne Rücksicht darauf,
ob der Grund= und Häuserbesitz verschuldet sei
oder nicht. Ein Schuldenabzug könnte, wenn in
einer Gemeinde Liegenschaften, Häuser und ge-
werbliche Unternehmungen mit solchen Schulden
belastet wären, zur Folge haben, daß der Umlage-
fuß bis zu einer erdrückenden Höhe ansteigen
würde und die Minderheit der wenig oder gar
nicht verschuldeten Steuerpflichtigen in unbilliger
Weise zugunsten derer, die infolge ihres Besitzes doch
auch ein wesentliches Interesse an der Bestreitung
des Gemeindeaufwands hätten, belastet würden.
Ahnliche Gesichtspunkte, wie sie die neue badische
Steuergesetzgebung vertritt, sind auch in der zurzeit
(1909) in Bayern gleichzeitig mit der Steuer-
reform in Aussicht genommenen Umgestaltung des
Gemeindefinanzwesens zum Ausdruck gebracht.
Guatemala — Haftpflicht.
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Vorkämpfer für ein mehr soziales Bodenrecht
werden diese Steuerpolitik im Prinzip sympathisch
begrüßen, da sie ohne Zweifel die private Boden-
spekulation erschwert und gerade die Kreise zu den
Kommnnalabgaben heranzieht, welche aus dem
allseitigen Aufschwung einer Gemeinde den größ-
ten Vorteil ziehen. Dabei darf allerdings der
Bogen nicht zu scharf gespannt, nicht die Existenz
zahlreicher Grund= und Hausbesitzerkreise durch
zu hohe Einschätzungen gefährdet werden.
Literatur. Die Werke über Finanzwissenschaft
von Stein, Rau-Wagner, Umpfenbach, Roscher,
Leroy-Beaulieu, Cohn, Eheberg, v. Heckel; ferner
Schönberg, Handbuch der polit. Okonomie III
((1898), u. die betr. Artikel im Handwörterbuch
der Staatswissenschaften (31908 ff), im Wörterbuch
der Volkswirtschaft (21906/07), im Österr. Staats-
wörterbuch (21905,09). — Mascher, Grundsteuer-
regulierung in Preußen (1862); Kleinwächter,
Zwei steuertheoretische Fragen, Schanz' Finanz-
Archiv 1886; Gneist, Das engl. Grundsteuer-
system (1859); Buckeley, Die bayr. Grundsteuer
in ihrer Wirkung (Zentralstelle der bayr. Bauern-
vereine, 1908); H. Weber, Die Besteuerung des
Waldes (1909). — Sodowsky, Besteuerung der
Gebäude (Riga 1892); Wocke, Über Häusersteuer
mit bes. Rücksicht auf Bayern (Zeitschr. für Staats-
wissenschaft 1875); Mirbach, Reform der österr.
Hauszinssteuer (Zeitschr. für Volkswirtschaft, Ge-
setzgebung u. Verwaltung 1903). — Zur Frage
der Gemeindebesteuerung in Preußen (Zeitschr. des
Preuß. Statist. Landesamts 1904, 192 ff);
v. Kaufmann, Kommunalfinanzen (2 Bde, 1906);
Damaschke, Aufgaben der Gemeindepolitik (51904);
Ehrler, Die neue Vermögenssteuer u. die Gemeinde-
steuerreform in Baden (Jahrbücher für National-
ökonomie u. Statistik 190S8 11 59 ffr.
[I—II v. Huene, rev. Sacher; III Sacher.]
Guatemala s. Zentralamerika.
Guttemplerorden fs. Gesellschaften, ge-
heime; Trunksuchtsbekämpfung.
H.
Haager Friedenskonferenzen s. Frie-
den, ewiger (Sp. 345).
Haftpflicht. I. Haftpflicht bei gewerb-
lichen Anfällen. A. Von der gewerblichen
Haftpflicht überhaupt. 1. Der Haftpflicht-
begriff im weiteren Sinne. Die Ent-
wicklung der Industrie mit ihrem Maschinen-
und Fabrikbetrieb hat für die Gesetzgebung eine
Reihe von Aufgaben geschaffen, deren gemein-
sames Ziel das Wohl des neuen, durch die Indu-
strie bedingten Standes der gewerblichen Arbeiter
ist. Sowohl die Grundsätze des Christentums
und der Menschlichkeit wie die Anforderung einer
gesunden Sozialpolitik verlangen für ihn um so
mehr eine erhöhte Fürsorge, je mehr er als der an
wirtschaftlichen wie geistigen Mitteln Schwächere
erscheint. Bis vor wenigen Jahrzehnten nahm
unter den Bestrebungen zur Hebung der wirt-
schaftlichen Lage der Arbeiter in erster Linie die
Reglung der sog. Haftpflichtfrage das öffent-
liche Interesse in Anspruch. Wer soll den Arbeiter
für die in seinem Berufe erlittenen Verletzungen
entschädigen? Wer soll seine Angehörigen unter-
halten, wenn diese infolge eines gewerblichen Un-
falls ihren Ernährer verloren haben? Wie hoch
soll diese Entschädigung bemessen, wie soll sie er-
mittelt werden? Wer soll die Beweislast für die
bei dem Unfall rechtlich in Betracht kommenden
Umstände tragen? Das sind die Kernpunkte der
Haftpflicht im weiteren Sinne.
2. Entstehungsgründe. Mit dem Grundsatz
des alten Zivilrechts, das eine Entschädigung nur