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Eine Wesens unschreibung ist es, wenn wir
sagen: Die Familie ist eine von der menschlichen
Natur geforderte gesellschaftliche Grundform zur
Fortpflanzung des Menschengeschlechts und zur
Entwicklung des einzelnen Menschen. Die Familie
ist jene Gesellschaftsform, die sich gründet auf die
Geschlechtsverschiedenheit und die Fortpflanzungs-
fähigkeit. Ihr Entstehen verdankt die Familie dem
Ehevertrag, der die Gemeinschaft des Blutes zwi-
schen den beiden vertragschließenden Teilen bewirkt
durch das gegenseitige Recht auf die Leiber.
Der Gebrauch des Vertragsrechtes der Bluts-
gemeinschaft zwischen den beiden Eheleuten dient
der Fortpflanzungsfähigkeit, die dadurch in Tätig-
keit tritt und in der Blutsgemeinschaft neue
Menschenwesen schafft. Diese gehören derselben
Blutsgemeinschaft an, da ihnen dasselbe Blut
eigen ist. Das gilt in gleicher Weise von allen,
die aus einer Blutsgemeinschaft hervorgehen, so
daß sie dadurch unter sich im gleichen Verhältnis
stehen. Diese Art von Blutsgemeinschaft zwischen
Eltern und Kindern und der Kinder untereinander
heißt gewöhnlich Blutsverwandtschaft. Sie ist
durch die Fortpflanzung bzw. Abstammung be-
gründet im Unterschied von der durch Ehevertrag
begründeten. Es sind so zwei Arten der Bluts-
gemeinschaft, die sich zueinander wie Wirkung und
Ursache verhalten. Die Natur nun dringt auf Er-
weiterung der Blutsgemeinschaft in der Art, daß
sie auf die Dauer einer Blutsgemeinschaft wider-
strebt, die sowohl durch Fortpflanzung bzw. Ab-
stammung wie auch durch Ehevertrag begründet
wäre. Das Widerstreben der Natur gegen diese
sog. Inzucht äußert sich in der Entartung und im
Aufhören der Fortpflanzungsmöglichkeit bei den
betreffenden Individuen.
Die von der Natur gewollte Erweiterung der
Blutsgemeinschaft ist die, daß Mann und Weib,
die nicht derselben Blutsverwandtschaft angehören,
sich zur ehelichen Blutsgemeinschaft zusammen-
finden. Dadurch werden dann allerdings auch die
beiderseitigen Blutsverwandten miteinander in
engere Beziehungen gesetzt, aber nicht so eng wie
die zwei Eheleute durch den Ehevertrag, noch auch
in der Art der durch Fortpflanzung hergestellten
Blutsgemeinschaft. Diese neue Art von Gemein-
schaft wird Schwägerschaft genannt. Durch
diese Gemeinschaftsbildung wirkt die Familie
grundlegend und aufbauend für die Organisation
des Gesellschaftslebens überhaupt.
Durch Abstammung, Verwandtschaft und
Schwägerschaft werden größere gesellschaftliche
Gruppen gebildet, die sich über der Familie auf-
bauen. Die wichtigste davon ist die „Sippe“,
d. h. eine Gruppe von Personen, die sich durch
gemeinsame Abstammung sowohl in der geraden
Linie wie in den seitlichen Linien und ihren Ver-
zweigungen verbunden fühlen (Fuchs). Über der
Sippeerhebt sich der Stamm und darüber das Volk.
Der natürliche Zuwachs der Familie kann auch
ersetzt werden durch die Rechtsform der Adop-
Familie.
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tion, die Aufnahme fremder Kinder in den
Familienverband mit den Rechten der natürlichen
Kinder (s. d. Art. Eltern). Eine Erweiterung des
Familienkreises ist auch das Dienstbotenver-
hältnis (s. d. Art. Gesinde).
3. Sittliche Ordnung. Die Familie ist
der Kern der gesellschaftlichen Organisation, die
sich aus ihr fortwährend entwickelt und erneut.
Damit ist schon ausgedrückt, daß die Familie kein
unabhängiges Nebeneinander von mehreren Men-
schen ist, sondern ein geordnetes Gebilde. Die
Ordnung, die darin herrschen soll, gehört dem sitt-
lichen Gebiet an, weil die Mitglieder der Familie
sittliche Wesen sind. Und da die sittliche Ordnung
der Familie in innigster Beziehung zu Gottes
Wille und Wirken steht, da zudem das Christen-
tum die Familie im Sakrament der Ehe über-
natürlich heiligt und kräftigt, wird sie zugleich eine
religiöse christliche Einrichtung. Der Einheits-
punkt, um den sich die Menschen in der Familie
zu ordnen haben, ist die Autorität des Gatten und
Vaters. Die Pflichtenkreise gliedern sich in die
Gattenpflichten, Eltern= und Kindespflichten, und
diesen analog in die Pflichten von Herrschaften
und Dienstboten. Natürlich wurden im Lauf
der Zeit je nach der ethisch-religiösen Auffassung
diese Pflichten verschieden aufgefaßt oder auch
vernachlässigt. Das Christentum hat gerade in
der Familie mit seiner welterneuernden Macht
eingesetzt, indem der Sohn Gottes durch seine
Menschwerdung in den Schoß einer Menschen-
familie herabstieg. Das organisierte Christentum,
die Kirche, hat dann im Lauf der Zeit auf die
Umgestaltung und Höherbildung der Familie den
nachhaltigsten und tiefstgehenden Einfluß ausgeübt
durch seine Pflichtenlehre und Gnadenvermittlung.
II. Zur Geschichte. Die Familie, das Wort
im engsten Sinn genommen, ist gegeben mit der
Natur des Menschen, christlich gesprochen, durch
seine Erschaffung als Mann und Weib mit dem
Auftrag, sich fortzupflanzen. Die Geschichte der
Familie ist nun nichts anderes als das Schicksal
dieser ursprünglich in die Natur des Menschen
hineingeschaffenen Organisation in den verschieden-
sten Zeiten und Ländern und Völkern.
An die ursprüngliche Gestalt der Familie knüpfte
das Christentum an, mit dem Bestreben, sie wieder-
herzustellen und in eine höhere Ordnung zu er-
heben. Dadurch wurde das Christentum zum ge-
waltigsten Ereignis in der Geschichte der Familie
und ist es bis in die Gegenwart geblieben. Indem
die Kirche die ethisch-religiöse Ordnung der Ehe
und Familie betonte, machte sie dieselbe frei vom
Joch des Staates und der andern weltlich-irdischen
Gewalten. Durch die grundsätzliche Freiheit des
Ehevertrages für Mann und Weib wurde die
starre Härte der römisch-rechtlichen patria pote-
stas und der deutsch-rechtlichen väterlichen Munt
gebrochen, der hauptsächlich die Tochter fast recht-
los preisgegeben war. Auch die Form des Braut-
kaufs war damit des Inhalts entleert. Durch das