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gründete später die Sozialdemokratie ihre öffentliche Umstellung, als
sie unter Führung Erzbergers die Friedensoffensive unternahm, die
das deutsche Volk nicht nur um die Erfolge des Krieges, sondern auch
um die Möglichkeit eines erträglichen Friedens brachte. Diese sozial-
demokratische „Taktik“ findet ihre prägnanteste Auslegung in einem
Dokument der „Sozialdemokratischen Arbeitsgemeinschaft“1, der
Vorläuferin der späteren Unabhängigen Sozialdemokratie. Es heißt
dort:
„Die Pflicht der Vaterlandsverteidigung ist eine staats-
rechtliche Pflicht, die für den Einzelnen aus der Jugehörigkeit
zu einem Staatswesen erwächst. Die Bewilligung von Kriegs-
krediten ist ein politischer Akt 4
Hier wird also ganz rundheraus zugegeben, daß die Bewilligung
von Kriegskrediten nicht eine nationale Notwendigkeit ist, sondern
eine Frage der politischen Parteitaktik. Damit fällt das letzte Argu-
ment der Sozialdemokratie für ihre angebliche nationale Heldenrolle
am 4. August 1914.
Wenn es trotzdem noch eines Beweises bedarf, um zu zeigen, daß
die „nationale"“ Einstellung der Sozialdemokratie lediglich aus Grün-
den der „Rücksicht“ und „Taktik“ bestimmt war, und man wie immer
hoffte, damit ein gutes Parteigeschäft zu machen, so genügen dafür
die Ausführungen des Sozialdemokraten Cunow, der ganz unver-
blümt schriebs:
„Der sozialdemokratischen Arbeiterpartei erwächst . die
Aufgabe, die schädlichen Folgen des Imperialismus möglichst
abzuwehren, hingegen jene wirtschaftlichen Neugestaltungen,
aus denen sich etwas für die Arbeiter herausholen läßt, rück-
sichtslos im Interesse der Arbeiterschaft auszunutzen, ihre Or-
ganisation auszubauen und, wenn es sein muß, den neuen
Zwecken entsprechend umzubilden, kurz, die Arbeiterschaft mög-
lichst wohlbehalten, körperlich wie geistig, durch die neue Ent-
wicklungsperiode zu bringen.“
1 „Die Bildung der Sozialdemokratischen Arbeitsgemeinschaft“, S. 4.
2 Cunow, „Parteizusammenbruch“, S. 15.