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der Staat, wenn er durch die Gesetzgebung einen Rechtsschutz über-
nimmt, denselben durch die Gesetzgebung auch wieder aufheben kann,
und selbst wenn die Rechtsnorm, auf welcher das concrete Recht
beruht, nicht durch die Gesetzgebung eingeführt ist, muß der Staat
als Repräsentant des vernünftigen Willens der in ihm lebenden
Menschen zur Aufhebung derselben im Interesse der Gesammtheit
befugt sein. Nicht der Rechtsschutz im Sinne der richterlichen Ge-
walt, sondern die Rechtsbildung als die Thätigkeit der gesetzgeben-
den Gewalt ist die höchste, für das Wesen des Staats bezeichnendste
Funktion desselben. Sofern wohlerworbene Rechte den Charakter
politischer Befugnisse tragen, kommt hinzu, daß dieselben des Staa-
tes eigene Rechte sind; daß für ihre Verleihung und Aufhebung
daher nur das Interesse des Staats maßgebend sein kanns).
Diese Argumente, mit Ausnahme des letztangeführten, wider-
legen zugleich die Ansicht, welche — mindestens für die Deutschen
Staaten — die Unentziehbarkeit der Herrscherrechte der Mitglieder
des fürstlichen Hauses auf ihre angebliche privatrechtliche Eigenschaft
stützt. Auch die Privatrechte können in formell rechtsgültiger Weise
von der Gesetzgebung aufgehoben werden "). Es ist auffallend, daß
ein scharfsinniger Jurist, der sich um die begriffliche Präcisirung des
Deutschen Staatsrechts große Verdienste erworben hat, wiewohl er
die Wahrheit dieses Satzes anerkennt 15), nichtsdestoweniger behauptet,
daß das Recht, im einzelnen Deutschen Staate Monarch zu sein,
als „altangestammtes Fürstenrecht" niemals „unter dem Vorwande
einer staatlichen Fortbildung“ rechtlich in Frage kommen könne“).
Aber selbst abgesehen von diesem Widerspruch können wir nicht zu-
geben, daß das Recht auf die Herrschaft in den Deutschen Staaten
ein Privatrecht sei. Es ist nicht richtig, daß der Ursprung dieses
Rechts „in dem Erwerbkreise der fürstlichen Dynastie liegt" und
43) Vgl. Bluntschli, I., S. 556 und die dort in N. 8 citirte Aeußerung Sir
Robert Peel's; auch Gerber, S. 38 a. E.
44) Dies giebt selbst Stahl, III, S. 629, unbedingt zu. Dagegen II, S.
339—340 verclaufulirt er seine Meinung etwas mehr.
45) Gerber, S. 38.
46) Derselbe, S. 81—82, bes. S. 82 N. 3. In seiner früheren Schrift:
„Ueber öffentliche Rechte“ (Tübingen 1852), S. 67—68, bezeichnet derselbe Schrift-
steller das Successionsrecht der fürstlichen Agnaten als „einen (obschon sehr
eigenthümlichen) Bestandtheil des vererblichen Vermögens“, als ein „wenigstens
analoges privatrechtliches Recht“.