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ist der Kern dieser Lehre ½). Unleugbar sucht dieselbe, indem sie
neben der absoluten Demokratie auch andere rechtmäßige Staatsfor-
men anerkennt, dem wirklichen Leben und den Bedürfnissen der
Völker gerechter zu werden, als die Rousseau'sche Theorie (in ihrer
weitern Entwickelung stellt sie freilich diese praktischen Vortheile
wieder in Frage); aber vom Standpunkt der Logik aus erscheint
sie nicht weniger anfechtbar. Zunächst ist die Behauptung, daß die
Souverainität immer ursprünglich dem Volke zustehe, eine uner-
wiesene Hypothese; selbst wenn ein Staat nur durch den Vertrag
der einzelnen Theilnehmer rechtlich begründet werden könnte, würden
dieselben sofort durch denselben Akt ein anderes Organ der Staats-
gewalt als ihre Gesammtheit bestellen können. Sodann, auch wenn
in einem concreten Staate die Souverainität zu irgend einer Zeit
bei dem Volke gewesen, ist kein Willensakt, keine Delegation des-
selben erforderlich, damit ein anderes Subjekt die Souverainität
erwerbe; denn eine Vrränderung der Rechtsordnung wird nicht aus-
schließlich durch den Willen des Gesetzgebers, in diesem Falle also
142) Milton, Cap. 7: „Quam regi potestatem dedit (populus), ehm
natura, ac virtute quadam, vel ut dicem virtualiter, etiam cum alteri
dederit, tamen in se habet“; weiterhin sagt er gegen Salmasius: „Ut pote-
statem, sic majestatem etiam populo adimere et (in) regem conferre stu-
des; vicariam si vis et translaticiam, primariam certe non potes,
uti nec potestatem“; von den Beamten in einer Demokratie unterschieden sich
die Könige durch die Einheit, Lebenslänglichkeit („nisi quid committant“) und
Erblichkeit ihrer Gewalt. Ganz ähnlich heißt es in dem Bericht an den Franzö-
sischen Senat, wodurch Troplong die Wiederherstellung des Kaiserreichs im Jahre
1852 motivirte (Dictionnaire de la Politique, I, S. 532): „La République
est virtuellement dans IEmpire à cause du caractère contractuel de Pin-
stitution et de la communication et de la délégation expresse du pouvoir
par le peuple. Mais PEmpire I’emporte sur la République, parcequ’il est
aussi la monarchie, o'est-à-dire le gouvernement de tous confié à Taction
modératrice d’un seul, avec P’hérédité pour condition et la stabilité pour
conséquence.“ — Ahrens, 1. c. S. 198—199: „Die Lebenskraft der Souverai-=
nität liegt in der Nation als Gesammtpersönlichkeit, gestaltet sich aber in beson-
deren Organen, bleibt jedoch die Macht, welche in außerordentlichen Fällen, wenn
wesentliche Organe verschwinden, zur Bildung neuer Organe hervortritt. Die
Souverainität ist daher dem Principé nach nur virtuell, der Möglichkeit nach
(potentia), in der Nation, und kann von ihr nicht direkt ausgeübt werden. —
Die aktive, wirkliche Souverainität wird nur von den konstituirten Staatsgewal-
ten geübt,“ im höchsten und eminenten Sinne von dem Fürsten. Auch das Mo-
ment der Delegation fehlt nicht bei Ahrens, wiewohl er die Bildung der Organe
mehr wie einen physiologischen Prozeß auffaßt (S. 178—179).