Full text: Die Legitimation einer usurpirten Staatsgewalt. Erste Abtheilung. (1)

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Augen setzt, verliert er nicht von selbst sein Recht, sofern nicht etwa 
dasselbe von vorn herein nur eine in jener Hinsicht bedingte Exi- 
stenz gehabt hat. Undenkbar ist es nun nicht, daß auch ein Herr- 
schaftsrecht an Bedingungen und zwar gerade auch an die Bedingung 
der pflichttreuen Ausübung geknüpft werde; aber weder im Wesen 
noch in den Erwerbarten desselben liegt ein Grund, dies als eine 
allgemein gültige Thatsache anzunehmen; selbst wenn es richtig wäre, 
die Rechte und Pflichten des Herrschers stets auf einen Unterwer- 
fungsvertrag zurückzuführen, würde die Verletzung des Vertrags von 
der einen Seite keine Befreiung der andern Partei bewirken; denn 
nicht jeder zweiseitige Vertrag enthält von selbst eine Resolutivclausel, 
und keinenfalls ist eine solche zu vermuthen, wenn der Vertrag nicht 
einen rein obligatorischen Charakter hat, sondern ein dauerndes 
Rechtsverhältniß zu begründen bestimmt ist. Ferner könnte unmög- 
lich jedes Vergehen gegen die Verfassung oder gar jede dem Staats- 
wohl nachtheilige Handlung den legitimen Herrscher zum Usurpator 
stempeln, wenn nicht das Herrschaftsrecht ein ganz prekäres werden 
soll, noch viel weniger kann jedem Einzelnen die Entscheidung über 
die Frage, wann diese rechtliche Folge eingetreten sei, zustehen. 
Diesen Einwendungen entgeht die Ansicht, welche nur eine Verant- 
wortlichkeit des Herrschers gegenüber dem Volke annimmt; für die- 
selbe scheint zudem die natürliche Erwägung zu sprechen, daß in 
Bezug auf ein Recht, welches nur im Interesse einer andern Per- 
son, hier der Gesammtpersönlichkeit des Staates, gegeben ist, also 
zugleich Pflicht ist, eine Rechenschaft über die Ausübung gesichert 
sein müsse. Aber ein über dem Souverain stehendes Organ, von 
welchem dieser wegen seiner Souverainitätshandlungen gerichtet wer- 
den könnte, ist undenkbar, ferner eine Bestrafung des Souverains 
überhaupt ausgeschlossen durch die Rücksicht auf die Würde seiner 
Stellung "“). Die Verantwortlichkeit im Staate muß nothwendiger- 
weise eine Grenze haben, und diese Grenze muß der Souverain 
  
154) Im Wesentlichen übereinstimmend Bluntschli I, S. 257, II, S. 82—84 
und Mohl, Encyklopädie, § 30 (S. 218 ff.). — Verschieden von der Frage der 
Verantwortlichkeit des Staatsherrschers ist die Frage, ob ein aktiver Widerstand 
der Unterthanen ihm gegenüber erlaubt sei. Im praktischen Erfolge kann aller- 
dings auch das Widerstandsrecht zu einer Entsetzung des Herrschers führen; ich 
habe aber davon Abstand genommen, dasselbe in den Kreis dieser Betrachtung 
zu ziehen, weil es für den Eintritt eines neuen Sonverains keinen rechtlichen 
Maßstab an die Hand gibt.
	        
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