Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Zweiter Band. Von der Marokko-Krise bis zum Abschied. (2)

Russisch- 
Japanischer 
Krieg 
22 DER ZAR IN DEN KRIEG GETAUMELT 
gegen uns in Szene gesetzte Blockade, die den Mord an vielen tausenden 
unschuldigen deutschen Frauen und Kindern bedeutete, verabscheuungs- 
würdiger war als die Versenkung der „Lusitania““ und die Erschießung 
von Miß Cavell. Aber wie beim Beginn des Krieges durch unsere täppische 
diplomatische Taktik, so beluden wir uns in dessen weiterem Verlauf durch 
die blöde Ungeschicklichkeit unsrer „Frightfulness‘“ mit dem bösen Schein. 
Auch hier waren wir das Schaf im Wolfspelz. 
Graf Osten-Sacken, der ein alter und erfahrener Diplomat war, hatte mir 
gegenüber schon im Herbst 1903 die Reibungen zwischen Rußland und 
Japan, die dem Ausbruch des Krieges vorausgingen, nicht ohne Grund mit 
dem Ursprung des mexikanischen Abenteuers verglichen. Der Russisch- 
Japanische und der Französisch-Mexikanische Krieg glichen sich darin, 
daß sie beide aus unsauberen Börsenspekulationen hervorgingen. Sie glichen 
sich auch darin, daß diese von Jobbern inszenierten kriegerischen Unter- 
nehmungen mit patriotischen Phrasen als weitsichtige politische Aktionen 
drapiert wurden. In Frankreich hatte Rouher die mexikanische Expedition 
„la plus grande pensee du rägne‘‘ genannt. In Rußland versicherten die 
Kumarilla, die den Zaren umgab, die Großfürsten, die am Jalu Geld ge- 
winnen wollten, und alle Höflinge dem Zaren, daß die russische Expansion 
in Ostasien an die große Politik des großen Peter und der großen Katharina 
erinnere. Um so begreiflicher war das Unbehagen der Panslawisten, die 
gewünscht hätten, daß Rußland alle seine Kräfte für Europa und insbe- 
sondere für den Balkan zusammenfasse und aufspare. Zum Oberbefehls- 
haber der russischen Landarmee in der Mandschurei wurde Kuropatkin 
ernannt, bis dahin der Abgott russischer Patrioten. Er galt nicht nur für 
einen glänzenden Haudegen a la Skobelew, sondern auch als ein ganz großer 
Stratege von fast napoleonischen Dimensionen. Ich bin ihm in Petersburg 
mehr als einmal in Gesellschaft begegnet, auch bei kleineren Diners. Er 
wirkte dadurch, daß er wenig sprach, was als Zeichen eines tiefen Geistes 
ausgelegt wurde. Statt zu reden, trank er ein Gläschen Wodka nach dem 
anderen, was als Beweis einer echt russischen Natur allgemein gefiel. Der 
arme Mann sollte das Schicksal von Gyulai und Benedek, von Lebauf, 
Bazaine und Trochu und manchen anderen zuerst überschätzten, dann 
geschmähten Feldherren erfahren. Kaiser Nikolaus war in diesen Krieg 
hineingetaumelt. Der Zusammenstoß mit Japan war ihm immer als möglich, 
zeitweise sogar als wahrscheinlich erschienen; er hatte aber nicht gedacht, 
daß der Krieg so bald und so plötzlich ausbrechen würde. Am Tage bevor 
japanische Torpedoboote das russische Geschwader auf der Außenreede 
von Port Arthur angriffen, beehrte auf einem Hofball in St. Petersburg der 
Zar den japanischen Gesandten mit einer längeren und gnädigen Ansprache. 
Im weiteren Verlauf des Balles äußerte der Japaner mit dem unbeweglichen
	        
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