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zustehenden Befugniß Gebrauch machend, dem Armenverbande Klein-Latzkow die Sorge für Ge-
währung des Obdaches, so lange sich F. keine eigene Wohnung verschafft haben werde, übertrug
und verweigerte Ersatz der sonstigen Unterstützung, weil F. und Frau vollkommen erwerbsfähig seien.
Klein-Latzkow nahm nun im Klagewege Uebernahme der Familie, sowie vollen Ersatz der ge-
machten Aufwendungen in Anspruch. Den Uebernahmeanspruch wies die erste Instanz unter Bezug-
nahme auf §. 34 cit. zurück; zum Ersatze der Aufwendungen wurde aber der verklagte Landarmen-
verband verurthellt, weil derselbe zu voller Entschädigung aus dem von ihm ertheilten Auftrage
verpflichtet sei, wenngleich die Hilfsbedürftigkeit der Familie F. außerhalb seines Bezirkes eingetreten
sein möge. Auf Berufung des Verklagten, welcher nunmehr seine Fürsorgepflicht überhaupt bestritt,
ist der Erstattungsanspruch für die Zeit vor der Verhaftung des Mannes abgewiesen, die später
gewährte Unterstützung aber theilweise für erstattungsfählg erklärt und dem Verklagten auferlegt
worden.
Die Gründe des Erkenntnisses lauten im Auszuge:
Die Motivirung des ersten Richters geht davon aus, daß der zugelassene Klageanspruch
nicht ein Ersatzanspruch des vorläufig unterstützenden Armenverbandes, sondern ein aus §. 34 des
preußischen Ausführungsgesetzes vom 8. März 1871 abgeleiteter Entschädlgungsanspruch sei. Diese
Auffassung stützt sich darauf, daß Verklagter mit Schreiben der Land-Armen-Direktion vom 19. Fe-
bruar 1873, dem die Abnahme der Familie F. fordernden Kläger unter Bezugnahme auf §. 34 leg. cit.
die Sorge für wohliche Unterbringung der Familie bis zur eigenen Beschaffung einer Wohnung
überlassen und sich zur Erstattung des Miethzinses bereit erklärt hat, nachdem vom Verklagten
anfänglich die Hülfsbedürftigkeit des pp. F. bestritten und jede Fürsorgepflicht abgelehnt worden
war. Hierdurch ist nach der Ansicht des ersten Richters ein neues Rechtsverhältniß zwischen den
Parteien entstanden, welches den Verklagten unabhängig von den Bestimmungen des Reichsgesetzes
vom 6. Juni 1870 verpflichtete, den Kläger für alle gemachten Aufwendungen vollständig zu ent-
schädigen. Wäre die Voraussetzung des ersten Erkenntnisses begründet, so würde die erkennende
Deputation für das Heimathwesen zur Entscheidung der vorliegenden Streitsache inkompetent sein,
da Entschädigungsansprüche aus einem Mandatverhältniß zwischen Armenverbänden allerdings ohne
Rücksicht auf das Vorhandensein der reichsgesetzlichen Voraussetzungen der Fürsorgepflicht klagbar
sind, aber der Kognition der Spruchbehörden in Armensachen, welche zur Entscheidung der in die
Sphäre des Reichsgesetzes fallenden Streitigkeiten zwischen Armenverbänden berufen sind, nicht
unterliegen.
Indessen ist der vom Kläger erhobene Anspruch nicht aus einer Uebertragung der Fürsorge
seitens des Landarmenverbandes kraft §. 34 leg. cit. abgeleitet. In der Klage geschieht der nachträglich
erfolgten Ueberlassung der Sorge für die wohnliche Unterbringung der Familie F. nur Erwähnung,
um diese Ueberweisung als ungerechtfertigt zu bekämpfen. Kläger gründet seinen Anspruch darauf,
daß er die vorläufige Fürsorge für die hülfsbedürstig in Klein-Latkow angekommene Familie F. dem
ganzen Umfange nach habe übernehmen müssen und verlangt Abnahme derselben von dem Ver-
klagten, sowie Erstattung der sämmtlichen Armenpflegekosten, auch der vor der Ueberweisung ent-
standenen und der nicht durch die wohnliche Unterbringung veranlaßten Aufwendungen.
Daraus erglebt sich ebensowohl die Kompetenz der Spruchbehörden in Armensachen, wie die
Nothwendigkeit der Prüfung, ob der klägerische Anspruch den Vorschriften des Reichsgesetzes vom
6. Juni 1870 gegenüber zu Recht besteht.
In erster Linie fragt es sich, ob die Hülfsbedürftigkelt der unterstützten Familie anzuerkennen
ist. Hierbei sind zwei Perioden der Unterftützung zu scheiden. In der ersten Periode, welche vom
29. Dezember 1872 bis zum 17. April 1873 reicht, war der Schuhmacher F. noch mit seinen Angehörigen
vereinig, während er in der Folgezeit verhaftet und nicht im Stande war, für die Familie zu
sorgen.
Bis zum 17. April 1873 war F. nach den in den Beiakten enthaltenen Aeußerungen des
Klägers und seiner eigenen Aussagen vollkommen erwerbsfähig und nur wegen Mangels einer
Wohnng in der Lage, öffentliche Unterstützung in Anspruch zu nehmen. Da zugleich seine Frau
gesund und arbeitsfähig ist, so lag höchstens ein durch den Wohnungsmangel bedingtes zeitweises
Bedürfniß öffentlicher Unterstützung vor. Jede weiter gehende Unterstützung war unnöthig. Auch
die in der Klage und Replik unter Beweis gestellten abweichenden Behauptungen des Klägers lassen