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keinen Gegenbeweis gegen das Bestehen der Krankheit, welche sich nach und nach entwickelt haben
mag, bis am Morgen des 24. Oktober erwiesenermaßen zu vollem Ausbruche gekommen ist.
In der Zwischenzeit hat S. allerdings noch die Kraft gehabt, sich nach Jena zu begeben, wo er
um Aufnahme in die Landesheilanstalt bat. Allein auch dieser Umstand widerlegt nicht das Vor-
handensein eines Krankheitszustandes, sondern ist eher geeignet, dasselbe zu bekräftigen, da S.,
ohne krank zu sein, sich schwerlich entschlossen haben würde, Hilfe in Jena zu suchen. Noch mehr
aber spricht für die Wahrheit seiner Aussage, schon am 22. Oktober krank gewesen zu sein, der
elende Zustand, in welchem er am Morgen des 24. Oktober in der Flur Apolda ausgefunden
wurde.
Die Erkrankung des S. hatte seine Hilfsbedürftigkeit zur Folge. Denn er bedurfte der
Heilung, hatte aber unbestritten nicht die Mittel, sich die erforderliche Krankenpflege auf eigene
Kosten zu verschaffen. Auch sein Arbeitgeber, der Tischler G., war keineswegs bereit, die Kosten
der Heilung zu übernehmen, sondern verstand sich, als S. Schwierigkeiten fand auf öffentliche
Kosten in das Krankenhaus aufgenommen zu werden, zu nicht mehr, als zu einer nicht aus-
reichend, befundenen Bürgschaftsleistung auf vier Tage. Hierdurch wurde die Hilfsbedürftigkeit
nicht beseitigt.
Dafür, daß das Dienstverhältniß, in welchem S. damals zu dem Tischler G. in Weimar
stand, vor dem Eintritte der Erkrankung und Hilfsbedürftigkeit durch beiderseitige Uebereinkunft,
oder in Folge vorausgegangener Kündigung aufgelöst worden sei, liegt nicht das Geringste vor:
Steht hiernach die Hilfsbedürftigkeit des Gesellen S. während seines Aufenthaltes in Weimar
und während der Dauer des Dienstverhältnisses außer Zweifel, so kommt es nur noch darauf an,
ob dieselbe den Organen der Armenpflege in Weimar auch erkennbar geworden ist. An und für
sich ist dies nicht zu bestreiten, da S. am 22. Oktober nicht blos dem Krankenhausarzte, sondern
auch dem Polizei-Inspektor sein Gesuch um Aufnahme in die Krankenanstalt vorgetragen hat. Ver-
klagter entschuldigt aber die Nichtgewährung der Krankenpflege damit, daß zur Zeit, als seine
Hülfe in Anspruch genommen wurde, der Krankheitszustand des S. ärztlicherseits noch nicht ge-
hörig konstatirt war, ein Vorbringen, welchem die Auslassungen des Dr. V. und des Expedienten K.
zur Seite stehen.
Nun ist zwar mit dem ersten Richter unbedingt anzuerkennen, daß dem Armenverbande des
Dienstortes — so wenig wie irgend einem anderen Armenverbande — angesonnen werden kann,
erbetene Unterstützung ohne vorgängige Prüfung der Bedürftigkeit, insbesondere Krankenpflege,
ohne jede Feststellung des Krankseins zu gewähren. Allein wenn eine Armenbehörde um Hilfe
angerufen wird, so es ihre Pflicht, von Amtswegen die erforderlichen Ermittelungen in Betreff
der Hilfsbedürftigkeit anzustellen, und je nach dem Ausfalle derselben die Unterstützung entweder
zu gewähren oder zu versagen. Demnach würde in vorliegendem Falle der sich krank meldende
Geselle S., wenn Zweifel an seiner Angabe bestanden, dem Physikus zur Untersuchung und Be-
gutachtung seines Zustandes vorzuführen, und wenn auch hierdurch nicht sofort jeder Zweifel ge-
hoben wurde, vorerst wenigstens zur Beobachtung in die Krankenanstalt aufzunehmen gewesen sein.
Statt dessen hat man sich in Weimar damit begnügt, dem S. die Beibringung eines Physikat-
attestes aufzugeben, und als dasselbe nicht einging, den Kranken seinem Schicksale überlassen. Das
Verhalten der Behörde hat es also selbst verschuldet, wenn der wirklich bestehende Krankheits-
zustand nicht, wie es für erforderlich gehalten wurde, konstatirt worden ist. Daraus folgt, daß
Verklagter seiner Fürsorgepflicht in ungerechtfertigter Weise sich entzogen hat.
Dem Kläger konnte gleichwohl nicht der volle Betrag der liquidirten Kurkosten zugebilligt
werden, weil es an jedem Nachweise dafür gebricht, daß nach Ausscheidung sämmtlicher zu den
allgemeinen Verwaltungskosten gehöriger Ausgaben, die lediglich durch das individuelle Bedürfniß
des einzelnen Kranken hervorgerufenen Aufwendungen im Krankenhause zu Apolda den Betrag
von 10 Sgr. täglich erreichen, was nach anderweitigen Erfahrungen bezweifelt werden muß.
Vielmehr war mit Rücksicht auf diese Erfahrungen ein Verpflegungssatz von 7½ Sgr. täglich
als der angemessene zu arbitriren.