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Setzt die Ausweisung und das Verlangen der Uebernahme des Auszuweisenden durch den Armenverband
seines bisherigen Unterstützungswohnsitzes voraus, daß' de Unterstützung aus öffentlichen Armenmitteln aus
anderen Gründen als wegen vorübergehender Arbeitsunfähigkeit des Unterstützten nothwendig geworden sei,
so ist es weiter auch erforderlich, daß der Zustand der Nothwendigkeit einer öffentlichen Unterstützung auch
noch zur Zeit der Klage fortbestanden habe.
In diesem Sinne entschied das Bundesamt für das Heimathwesen in dem am 17. Oktober 1874
erlassenen, konfirmatorischen Erkenntnisse in Sachen Wiesbaden gegen Grebenroth, in dem es Folgendes
ausführt:
Es kann auf sich beruhen bleiben, ob die Lage einer an sich völlig arbeitsfähigen Wittwe,
wie die ect. J., welche sich außer Stande sieht, ohne öffentliche Beihülfe die nöthigen Subsistenz-
mittel für sich und eine größere Zahl noch kleiner Kinder mit ihrer Hände Arbeit zu verschaffen,
überhaupt eine solche ist, welche im Sinne des §. 5 des Freizügigkeits-Gesetzes vom 1. November 1867
und des §. 31 des Reichsgesetzes vom 6. Juni 1870 ihre Unterstützung aus anderen Gründen
als wegen nur vorübergehender Arbeitsunfähigkeit nothwendig erscheinen läßt; ob nicht vielmehr
die Umstände, in Folge deren die sonstige Arbeitsfähigkeit einer solchen Wittwe als eine zum
Erwerbe des nothwendigen Unterhalts unzureichende angesehen werden muß, ihrer Natur nach
als nur vorübergehende zu betrachten sind. — Conf. Erkenntniß des Bundesamts vom
17. Februar 1873 in Sachen Doberschau wider Landarmenverband Schlesien, Entscheidungen
Heft III. Seite 89. — Jedenfalls setzt die Ausweisung und das Verlangen der Uebernahme des
Auszuweisenden durch den Armenverband seines bisherigen Unterstützungswohnsitzes nach den
allegirten Bestimmungen des Freizügigkeitsgesetzes und des Reichsgesetzes über den Unterstützungs-
wohnsitz voraus, daß wegen der hervorgehobenen, nicht blos in vorübergehenden Gründen beruhen-
den Arbeitsunfähigkeit die Unterstützung aus öffentlichen Mitteln nothwendig geworden d. b,,
daß sich nicht blos eine Bedürftigkeit aus solchem Grunde herausstellt, sondern, daß die öffentliche
Armenfürsorge bereits habe eintreten und dem Auszuweisenden die Hülfe derselben wirklich habe
gewährt werden müssen. Dieses Erforderniß trifft hier nicht zu. Allerdings hat die Wittwe J.
am 6. November 1871 die Unterstützung aus öffentlichen Armenmitteln nachgesucht, welche ihr
denn auch während des Jahres 1872 von dem Armenverbande Grebenroth gewährt ist. Wäre
aber auch anzunehmen, daß es für das Recht des Armenverbandes des dermaligen Aufenthalts-
ortes, die Uebernahme von demjenigen des Unterstützungswohnsitzes zu verlangen, ohne Bedeutung
sei, ob die Unterstützung den Auszuweisenden von dem Armenverband des Unterstützungswohnsitzes
oder demjenigen des Aufenthaltsortes selbst gewährt worden ist, so hat doch die Wittwe J. seit
1872 von keiner Seite eine weitere derartige Unterstützung weder beantragt noch erhalten. Jene
Unterstützung während des Jahres 1872 kann aber jedensfalls die im April 1874 erhobene Klage
auf Uebernahme der Wittwe J. um so weniger begründen, als es sich von selbst versteht, daß
der Zustand der Nothwendigkeit einer öffentlichen Unterstützung auch noch zur Zeit der Klage
sortbestanden haben muß; denn da Umstände der verschiedensten Art in der Lage eines bisher
Hülfsbedürftigen eine solche Aenderung herbeiführen können, daß eine solche Bedürftigkeit nicht
mehr besteht, hiermit alsdann aber der rechtliche Grund jeder Ausweisung weggefallen ist, so er-
scheint die Ausweisung desselben auch nur so lange zulässig, als die früher eingetretene Hülfsbe-
dürftigkeit wirklich noch vorhanden ist, und nicht schon wegen der Besorgniß ihrer möglicherweise
künftig eintretenden Wiederkehr. Wenn sonach im vorliegenden Falle die Wittwe J. durch irgend
welche Veränderung ihrer Verhältnisse in die Lage gekommen ist, eine weitere Unterstützung aus
öffentlichen Armenmitteln nicht weiter in Anspruch nehmen zu müssen, so kann es, da nach §. 12
des Freizügigkeitsgesetzes der §. 5 desselben und nach dem Geiste des Reichsgesetzes vom 6. Juni 1870
auch der §. 31 dieses Gesetzes keine irgend ausdebnende Auslegung zulassen, auch darauf nicht
ankommen, ob es etwa die Unterstützungen eines Privat-Wohlthätigkeits-Vereines gewesen sind,
welche die Wittwe J. jener Nothwendigkeit enthoben haben, da nach jener Bestimmung armen-
rechtlich nur die aus öffentlichen Armenmitteln gewährte Unterstützung in Betracht kommt. Auch
die in dieser Instanz von dem Kläger angetretenen neuen eweise erscheinen daher unerheblich.