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Es mag auf sich beruhen bleiben, ob der letztgedachte Fall hier insofern vorliegt, als eine
Entlassung der Wittwe L. aus dem Universitäts-Krankenhause in hülfslosem Zustande eigentlich
nicht stattgefunden hat, sie vielmehr nach Erschöpfung ihrer eigenen Mittel nur von der Direktion
der Anstalt dem Ortsarmenverbande zur weitern Fürsorge überwiesen worden ist, weil ihr Zu-
stand ihre Entlassung nicht zuließ. Jedenfalls kann darin dem ersten Richter nicht beigetreten
werden, daß die Einlieferung dem im §. 23 al. 2 des Gesetzes erwähnten Eintritt in die Anstalt
gleichstehe, so daß darunter auch der Fall zu begreifen sei, wo der Kranke sich selbst freiwillig in
das Krankenhaus begebe.
Unverkennbar bildet der erste Fall, von welchem der §. 30.b. redet, die Regel, der zweite
durch das Amendement des Abgeordneten Dr. Prosch in das Gesetz gekommene Fall stellt sich
nur als eine Spezialbestimmung, eine Ausnahme von jener Regel dar, welche schon deshalb strikt
zu interpretiren ist. Diese Bestimmung setzt also, wenn man sich an die Worte hält, eine erfolgte
Einlieferung voraus, worunter nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauche nur ein solcher Akt ver-
standen werden kann, durch welchen der bei seiner Entlassung Hülfsbedürftige, sei es nun zwangs-
weise oder doch ohne daß seinem eigenen Willen dabei eine ausschlaggebende Bedeutung beigelegt
würde, in die betreffende Anstalt verbracht worden ist. Das Gesetz hat nach diesem sprach-
gebräuchlichen Sinne des Wortes zweifellos nur solche Fälle vor Augen, wo die betreffende Per-
2 aus Gründen der öffentlichen Ordnung und aus sonstigen polizeilichen Gründen aller Art
durch die Behörde oder durch ihre Verwandten und Angehörigen wesentlich in deren eigenem
Interesse in eine jener Anstalten eingeliefert wurde. Das zum Gesetz gewordene Amendement
des Dr. P. sollte nach der Motivirung des Antragstellers für solche Fälle, wo Individuen in die
eenannten Anstalten zu einer Zeit eingeliefert werden, wo sie sich noch nicht in einem hülfs-
edürftigen Zustande besinden, Lemnächst aber in einem solchen Zustande aus den Anstalten ent-
lassen werden, die Ungewißheit, welcher Landarmenverband zu ihrer Aufnahme verpflichtet sei,
heben und in dieser Richtung den Paragraph in nützlicher Weise vervollständigen. Durch die
Beseitigung dieser Ungewißheit sollte insbesondere den Härten und Unbilligkeiten vorgebeugt wer-
den, welche für Landarmenverbände, in deren Bezirk größere Straf-, Bewahr-, Irren= und Heil-
anstalten sich befinden, dadurch herbeigeführt werden würden, wenn denselben nach dem starren Prin-
zipe der im ersten Satze des §. 30.b. aufgestellten Regel die dauernde Fürsorge für alle Landarmen
zur Last gelegt würde, welche aus weiteren Kreisen in jenen Anstalten zusammengeführt, in hülf-
losem Zustande aus denselben entlassen werden. Bleibt es aber nach dem ersten Satze Grundsatz
und Regel, daß der Landarme, welcher in der freien Selbstbestimmung rücksichtlich der Wahl sei-
nes Anbenthalisortes nicht beschränkt war, demjenigen Landarmenverbande zur Last fällt, in
welchem er sich bei dem Hervortreten etwaiger Hülfsbedürftigkeet grade befindet, so bedurfte es
für die nähere Bestimmung der in dem zweiten Satze ins Auge gefaßten besonderen Fälle der
Hinweisung auf eine bestimmt greifbare Thatsache und als solche konnte nur die Einlieferung im
obigen Sinne betrachtet werden, deren besondere Berücksichtigung zur billigen Ausgleichung der
gedachten Härten geeignet erschten. Wollte man dagegen mit dem Kläger und dem ersten Richter
annehmen, daß der freiwillige Eintritt eines Kranken in eine Krankenanstalt der im Gesetze aus-
drücklich erwähnten Einlieferung rechtlich gleichzustellen sei, so würde es an der erforderlichen
greisbaren Thatsache fehlen, mit Rücksicht auf welche ausnahmsweise ein anderer Landarmen-=
verband als derjenige verpflichtet sein soll, in dessen Bezirk die Hülfsbedürftigkeit hervorgetreten
ist. Nach dem Systeme des Klägers müßte man entweder die zufällige Lage des Ortes als ent-
scheidend in Betracht ziehen, wo sich der kranke Landarme unmittelbar vor Antritt der Reise in
das Krankenhaus, wenn auch nur während der kürzesten Zeit aufgehalten hat, und dies wird sich
in den meisten Fällen nicht feststellen lassen. Oder man würde vor der nach den Bestimmungen
und Grundsätzen des Reichegesetzes nicht zu lösenden Frage stehen, wie lange der Aufenthalt des
Kranken an dem Orte, von welchem aus er sich in die Anstalt begeben hat, gedauert habe, und
wie derselbe sonst beschaffen gewesen sein müsse, damit der betreffende Landarmenverband als der
Verpflichtete erscheine. Das System des Klägers erweist sich auch hiernach als unhaltbar,
und bleibt nur übrig, sich strikt an den Wortinhalt des Gesetzes zu halten, welches nicht ohne
Grund eine Fassung erhalten hat, die dem Erfordernisse bestimmter und genau erkennbarer Rechts-
normen die erforderliche Rechnung trägt.