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5. Heimath-Wesen.
Der im Oktober 1837 zu Osby in Schweden geborene Arbeiter Johann Qu. hat vom September 1870
bis zum 19. September 1873 im Bezirke des Ortsarmenverbandes Bodelschwingh (Westfalen) gewohnt.
Am 2. November 1873 heirathete er in Achim (Provinz Hannover) die Katharine Schw., welche Mutter
zweier unehelichen Kinder war, von denen das älteste im siebenten Jahre stand, während das zweite erst
kurz vor der Verheirathung geboren und bei dieser von dem Ehemann als von ihm gezeugt anerkannt
wurde. Bald nach ihrer Verheirathung zogen die Eheleute Qu. nach Verden (Provinz Hannober), und
wurde hier die Ehefrau »wegen Diebstahls zu einer längeren Zuchthausstrafe verurtheilt. Im Juni 1874
entfernte sich auch der Ehemann heimlich von Verden und wurden dadurch die beiden von seiner Frau ge-
borenen Kinder hülfsbedürftig. Der Ortsarmenverband Verden, welcher sich der vorläufigen Unterstützung
dieser Kinder unterzogen hat, ist deshalb gegen den Ortsarmenverband Bodelschwingh auf Uebernahme der-
selben und Erstattung der auf sie verwendeten Verpflegungskosten klagbar geworden, indem er die Klage
darauf stützt, daß Qu., obgleich Ausländer, in Gemäßheit des §. 60 des Reichsgesetzes vom 6. Juni 1870
und des §. 64 des preußischen Ausführungsgesetzes vom 8. März 1871 Unterstützungswohnsitz in dem
Bezirke des verklagten Ortsarmenverbandes erworben hat, welcher von seiner Ehefrau und den Kindern
getheilt werde. ·
Der Verklagte, welcher sich in erster Instonz mit der Klagebeantwortung versäumt hat, und deshalb
durch das Erkenntniß der ersten Instanz der in der Klage vorgetragenen Thatsachen für geständig erachtet
und nach dem Klageantrage verurtheit worden ist, appellirte. Er verabredete auch in zweiter. Instanz den
thatsächlichen Inhalt der Klage nicht, bestritt aber, daß die Voraussetzungen vorhanden gewesen seien, unter
welchen der Arbeiter Johann Qu. aus Osby in Schweden als Ausländer einen Unterstützungswohnsitz im
Inlande habe erwerben können, da ihm nämlich nicht, wie das Gesetz erfordere, der Aufenthalt im Inlande
gestattet gewesen sei. Sodann wendete er weiter ein, daß die am 2. November 1873 von Qu. in Achim
mit der Katharine Schw. eingegangene Ehe nichtig sei, weil Ou. damals bereits eine ihm rechtmäßig in
seiner Heimath Schweden angetraute Frau gehabt habe, welche noch jetzt lebe, weshalb diese Ehe auch die
armenrechtlich an dieselbe sich knüpfenden Folgen nicht haben könne. ·
Das Bundesamt hat indessen am 16. Dezember 1876 das erste Erkenntniß bestätigt. In seinen
Gründen heißt es: . ·
Einer besonderen Gestattung des Aufenthalts im Inlande bedurfte es nach §. 64 des
preußischen Ausführungsgesetzes vom 8. März 1871 nicht, damit der ꝛc. Qu. in Bodelschwingh
gleich einem Deutschen den Unterstützungswohnsitz im Inlande erwerben konnte. Die Worte im
Eingang des §. 64: „so lange ihm der Aufenthalt im Inlande gestattet ist,“ haben nach dem
Kommissionsbericht des preußischen Abgeordnetenhauses, in welchem der §. 64 in seiner jetzigen.
Gestalt zur Annahme gelangt ist, nur den Zweck, jederzeit das Rückweisungsrecht zu garantiren,
conf. Arnold S. 397. So lange also der Ausländer seinen Aufenthalt im Inlande hat, ohne
daß die Behörden von ihrem Ausweisungsrecht Gebrauch machen, äußert dieser Aufenthalt rück-
sichtlich des Erwerbs des Unterstützungswohnsitzes dieselben rechtlichen Wirkungen, wie bei einem
Inländer. Es muß daher, da unbestritten Qu. vom September 1870 bis zum 15. Oktober
1872 und vom 1. November 1872 bis zum 19. September 1873 auf dem Gute Bodelschwingh
im Bezirke des verklagten Armenverbandes und während der ganzen Zeit im gedachten Bezirke
wohnte, auch angenommen werden, daß er in Gemäßheit des §. 10 des Reichsgesetzes vom 6. Juni
1870 den Unterstützungswohnsitz in demselben erworben habe.
Verklagter hat sodann weiter eingewendet, daß die am 2. November 1873 von Johann
Qu. in Achim mit der Katharine Schw. eingegangene Ehe nichtig sei, weil Qu. damals bereits
eine ihm rechtmäßig in seiner Heimath zu Christianstad in Schweden angetraute Frau habe,
welche noch jetzt lebe, und daß deshalb die zweite Ehe des Qu. die gesetzliche Folge nicht haben
könne, daß seine Frau und deren Kinder seinen in Bodelschwingh erworbenen Unterstützungs-
wohnsitz theilten. Allein die auf den Antrag des Verklagten stattgehabte Beweisaufnahme hat