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Von der Gerichtsbarkeit der Friedensrichter sind ausgeschlossen:
a) Klagen über das Eigenthums= oder Besitzrecht an Immobilien, wenn dieses Recht durch eine for-
melle Urkunde bestätigt ist;
b) Klagen, bei welchen der Fiskus interessirt ist, mit Ausnahme der Besitzstörungsklagen.
Im General-Gouvernement Warschau (Königreich Polen), wo die Gesetze von 1864 am
1./13. Juli 1876 in einer mannigfach modifizirten Gestalt eingeführt worden sind, giebt es Friedens-
richter nur für die Städte; auf dem Lande vertreten ihre Stelle kollegialische Gemeindegerichte, aus
einem Gemeinderichter und mehreren Beisitzern bestehend. Die Zuständigkeit der Friedensrichter und der Ge-
Lafansesehte ist dort überdies eine beschränktere, als diejenige der Friedensrichter im übrigen Rußland,
insofern
a) die vorstehend zu 1 und 2 aufgeführten Klagen nur bis zu einem Betrage von 250 Rubel, und
b) an Stelle der vorstehend zu 4 aufgeführten, nur Klagen wegen Störung in der Ausübung der
im II. Buch des code eivil ausgeführten Servituten
ihrer Entscheidung unterliegen, während andererseits alle Klagen, betreffend Eigenthum oder dingliche Rechte
an Immobilien, insbesondere Emphyteuse, Erbpacht, Erbzinsrechte auf die Oberfläche und den Schooß der
Erde, sowie ferner Klagen, welche Privilegien auf Grund von Entdeckungen oder Erfindungen betreffen, ihnen
ganz entzogen sind.
Die Friedensrichter-Versammlungen werden durch periodisches Zusammentreten der einzelnen
Friedensrichter (im General-Gouvernement Warschau der Friedensrichter und der Gemeinderichter) gebildet
und stehen als zweite Instanz über den Friedensrichtern (bezw. Gemeindegerichten). An den Orten, wo die
Friedensrichter-Versammlungen regelmäßig zusammentreten, ist ein einzelner Friedensrichter, als sog. „bestän-
diges Mitglied der Friedensrichter-Versammlung"“ mit der Erledigung des laufenden Dezernats betraut.
B. Vor die Bezirksgerichte gehören diejenigen Rechtsstreitigkeiten, welche nicht den Friedensrichtern.
(bezw. Gemeindegerichten) zugewiesen sind. Von ihren Entscheidungen geht die Berufung an die Appel-
lationsgerichte. «
In den Städten St. Petersburg, Moskau, Warschau, Archangel, Odessa, Taganrog, Kertsch und
Nowo-Tscherkask bestehen besondere Handelsgerichte. Die örtliche Zuständigkeit derselben erstreckt sich bei
den Handelsgerichten in St. Petersburg, Moskau, Odessa, Warschau und Archangel auf die Stadt und den
Kreis gleichen Namens, bei dem Handelsgericht in Taganrog auf das Gebiet dieser Stadt und die Stadt
Rostow a. Don, bei dem Handelsgericht in Kertsch auf sämmtliche Städte der Halbinsel Krim und die Stadt
Berdjansk, bei dem Handelsgericht in Nowo-Tscherkask auf das ganze Gebiet der Donischen Kosaken. Die
sachliche Zuständigkeit der Handelsgerichte bezieht sich auf alle Prozesse in Handelssachen gegen Beklagte,
welche im Bezirke des Handelsgerichts ihren Wohnsitz oder zeitweiligen Aufenthalt haben, sowie auf diejenigen
Prozesse, bei denen die den Gegenstand desselben bildende Waare sich im Gerichtsbezirk befindet. Die Be-
rufung von den Entscheidungen der Handelsgerichte, soweit eine solche zulässig ist, geht an den dirigirenden
Senat in St. Petersburg.
In denjenigen Gouvernements, in denen bisher nur die friedensrichterlichen Institutionen eingeführt
worden sind (vergl. oben I. 1), sind die alten Gerichtspalate für alle Prozesse, welche nicht zur Zuständigkeit
der Friedensrichter gehören, bestehen geblieben. Von den Palaten findet, wie früher, die Appellation an
den dirigirenden Senat in St. Petersburg statt. Solcher Palate giebt es in jedem der fraglichen Gou-
vernements eins mit dem Sitze in den oben bezeichneten Gouvernements-Hauptstädten. Nach Einführung
der neuen Gerichtsordnungen in die oben unter I. 1 aufgeführten 6 Gouvernements werden am Schlusse
des Jahres 1883 Palate nur noch in den Städten Olonez, Ufa, Orenburg und Astrachan bestehen.
Ein Verzeichniß der auf Grund der neuen Gerichtsordnungen bisher errichteten bezw. im Laufe des
Jahres 1883 zu errichtenden Bezirks-, Appellations= und Handelsgerichte, ferner der wichtigsten Gerichte in
den Provinzen Esthland, Livland und Kurland, sowie in Finland ist in der Anlage A enthalten. —
III. Hinsichtlich des Verfahrens nach der neuen Civilprozeßordnung ist Folgendes zu bemerken:
1. Die Parteien können sich unbeschränkt durch Bevollmächtigte vertreten lassen, wozu sich ins-
sondere die vereideten Anwälte eignen; jedoch ist die Wahl anderer Vertreter nicht ausgeschlossen.
Ein Vollmachtsformular ist als Anlage B hier beigefügt. —
Außerhalb Rußlands ausgestellte Vollmachten müssen nach den am Orte der Ausstellung
geltenden Formen aufgenommen und mit der Legalisation der zuständigen russischen diplomatischen
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