wo nichts sei. Diese Deduktion beruht auf der unrichtigen Voraussetzung, daß der Gegensatz zum Unter-
stützungswohnsitz das „Nichts“ sei. Nach dem Gesetze ist aber der Gegensatz zur Unterstützungspflicht der
Ortsarmenverbände keineswegs das „Nichts“, sondern die Unterstützungspflicht der Landarmenverbände: die
öffentliche Unterstützung Hülfsbedürftiger, welche endgültig zu tragen kein Ortsarmenverband verpflichtet ist,
liegt den Landarmenverbänden ob (§. 5 des Unterstützungswohnsitz-Gesetzes vom 6. Juni 1870). Es ist nicht
wohl abzusehen, weshalb die Landarmen-Eigenschaft nicht ebenso getheilt werden könne, wie die Eigenschaft als
Ortsarmer. Zwischen einem Landarmen und dem zu seiner Unterstützung verpflichteten Landarmenverbande
findet ebensowohl ein wirklich vorhandenes Rechtsverhältniß statt, wie zwischen dem Ortsarmenverbande und
dem in seinem Bezirke Unterstützungswohnsitz-Berechtigten. Ersteres ist nur nicht im voraus fixirt, sondern
wird erst durch das Hervortreten der Hülfsbedürftigkeit im Bezirke des Landarmenverbandes begründet, er-
reicht auch mit dem Aufhören der Hülfsbedürftigkeit sein Ende.
Daß die gesetzgebenden Faktoren die Sache so aufgefaßt haben, ergeben die Reichstagsverhandlungen.
Bei den Berathungen über §. 22 des Gesetzes ist in Bezug auf die einen Landarmen heirathende Frau von
keiner Seite in Abrede gestellt, daß sie fortan die Landarmen-Eigenschaft ihres Ehemannes theile, daß sie durch
die Ehe mit ihm landarm werde. Man erachtete eine desfallsige spezielle Bestimmung nicht für erforderlich,
weil die Sache durch die Erklärungen vom Regierungstisch und des Berichterstatters klargestellt war. Die
rechtliche Familieneinheit wird auch dadurch, daß Familienhaupt und Familienglieder räumlich getrennt sind,
nicht beeinträchtigt. Wenn der zweite Richter das Gegentheil anzunehmen scheint, so fehlt einer solchen An-
nahme jeder Anhalt.
Ist sonach das Prinzip der Familieneinheit wie in Bezug auf Personen, welche einen Unterstützungs-
wohnsitz besitzen, so auch in Bezug auf Landarme anzuerkennen, so ist auch die aus diesem Prinzipe sich er-
gebende Konsequenz, daß das Familienhaupt in den Familiengliedern unterstützt wird, keineswegs auf erstere
Personen zu beschränken. Es kann nicht zugegeben werden, daß man mit dieser Ansicht in einen unlösbaren
Widerspruch zu §. 30b des Unterstützungswohnsitz-Gesetzes trete. Man darf nur nicht außer Acht lassen,
daß derjenige Landarmenverband, welchem die hülfsbedürftige Familie eines Landarmen zur Unterstützung
anheimgefallen ist, vermöge rechtlicher Fiktion das landarme Familienhaupt unterstützt und daß daher die
Hülfsbedürftigkeit des letzteren juristisch in demjenigen Landarmenbezirke hervorgetreten ist, wo sich das Fa-
milienglied beim Hervortreten seiner Hülfsbedürftigkeit thatsächlich befand. So lange diese Hülfsbedürftigkeit dauert,
bleibt der fürsorgepflichtige Landarmenverband auch für fernere in der Familie eintretende Fälle der Hülfs-
bedürftigkeit fürsorgepflichtig, da es sich dabei nicht um eine neue, sondern nur um eine erweiterte Hülfs-
bedürftigkeit handelt. (Vergl. Wohlers, Entscheidungen IX 99, XI 93, XIII 94).
Beklagter hat noch den Einwand erhoben, daß die Ehefrau M. im Mai 1876 von ihrem Ehemann
böslich verlassen und deshalb mit den ihre Unterstützungswohnsitz-Verhältnisse theilenden Kindern selbständig
geworden sei, daß deshalb die ihr gereichte Unterstützung nicht als ihrem Ehemann gewährt angesehen werden
könne. Das Bundesamt hat die Gründe für seine abweichende Auffassung in veröffentlichten Entscheidungen
dargelegt. (Vergl. Central-Blatt für das Deutsche Reich de 1875 Seite 724; Wohlers, Entscheidungen XII 60).
Nach Vorstehendem hat der klägerische Anspruch für begründet, die Passivlegitimation des Beklagten
als vorhanden angenommen werden müssen.
Eine der nächsten Nummern dieses Blattes wird eine Zusammenstellung der von dem Bundesamte
bezüglich der Familieneinheit angenommenen Grundsätze bringen.