Von der Stenerpflicht. (8. 55.) 137
Grundsatz der allgemeinen Steuerpflicht bezieht sich auf die Einzelstaaten, das Reich
und die Kommunalverbände, indes die Pflicht, Kirchensteuern zu bezahlen, nach
der heutigen Staatsentwicklung auf einer besonderen, nicht der Staatsangehörigkeit ent-
nommenen, Rechtsgrundlage beruht. Die Steuerpflicht der Staatsangehörigen ergibt sich
aus der Natur des Staates und hat daher einer ausdrücklichen Anerkennung in der Ver-
fassungsurkunde nicht bedurft. Dagegen hat die Verfassungsurkunde ausdrücklich aus-
gesprochen, daß alle Staatsbürger auf verhältnismäßig gleiche Weise zu den Staatslasten
beizutragen schuldig seien, und daß Bevorzugungen in betreff der Steuern nicht ein-
geführt werden dürfen, sowie daß alle noch bestehenden Steuerprivilegien abgeschafft wer-
den sollen. Die im Art. 101 der Verfassungsurkunde zur Verwirklichung dieser Prin-
zipien erneuert verheißene, bereits in dem Edikte über die Finanzen des Staates und
die neuen Einrichtungen wegen der Abgaben v. 27. Okt. 1810 zugesicherte Revision
der bestehenden Steuergesetzgebung ist erfolgt durch die große Steuerreform, die in
der Geschichte des Preußischen Staates mit dem Namen Migquel verbunden ist; die ein-
zelnen Reformgesetze sind: 1. das Einkommenstenergesetz v. 24. Juni 1891 (G. S.,
S. 175); 2. das Ergän zungssteuergesetz v. 14. Juli 1893 (G. S., S. 134); 3. das
Gesetz wegen Aufhebung direkter Staatssteuern v. 14. Juli 1893 (G. S., S. 119).
Das System dieser großartigen Gesetzgebung ist mit 1. April 1895 in Kraft getreten;
die Darlegung desselben im einzelnen bleibt dem Verwaltungsrechte vorbehalten; dort wird
insbesondere auch die fein ausgesonnene Verteilung der Steuererträgnisse zwischen Staat
und Gemeinde, beziehungsweise Kreis, zu würdigen sein.
Für Hohenzollern wurde der Einklang mit der Steuerverfassung und dem Steuer-
recht der übrigen Monarchie hergestellt durch Gesetz v. 2. Juli 1900 (G. S., S. 252).
Die Kommunalabgaben fanden eine vollständige Neugestaltung durch das Kom-
munalabgabengesetz v. 14. Juli 1893 (G. S., S. 152).2 Außerdem sind zu nennen:
1. die auf Gesetz v. 7. März 1822 beruhende, durch zahlreiche spätere Gesetze weiter-
gebildete Stempelsteuer, in der der finanzrechtliche Begriff Gebühr sich mit dem
Steuerbegriff vermischt; eine vollständige Neuordnung unter Geseitigung des älteren Rechtes
hat diese Materie jetzt erfahren durch das Gesetz v. 2. Juli 1895 (G. S., S. 413); 2. die
Erbschaftssteuer gemäß Gesetz v. 30. Mai 1873, neue Redaktion v. 24. Mai 1891
(G. S., S. 78) 7, dazu das Abänderungsgesetz v. 31. Juli 1895 (G. S., S. 412).
Die vor Erlaß der Verfassungsurkunde bestandenen Steuerbevorzugungen sind, in-
soweit sie nicht durch besondere Gesetze bereits früher abgeschafft worden waren", durch
diese Gesetzgebung definitiv beseitigt worden 5, falls nicht ein ausdrücklicher Vorbehalt er-
u. B. R., 3. Aufl., Bd. I, S. 477; G. Meyer= im winanzarchiv, Jahrg. VIII, Bd. II, S. 71 ff.;
Anschütz, Lehrb. d. d. St. R., G. Aufl., S. 824 ff.; speziell für die Gewerbesteuer Fuisting im Verw.
Verw. R., Bd. II, S. 197 ff., bes. S. 243 ff., (Ein= Acch. I, S. 1 ff., sowie die hochinteressanten parla-
kommensteuer) S S. 256 ff. (Ergänzungsstener- ) H. mentarischen Materialien, deren nähere Angabe
Schulze, Preuß. St. R., Bd. 1, S. 375 ff. unten im Verwaltungerecht erfolgen wird; vgl.
1 Im A. L. R. finden sich dagegen Bestim= auch v. Zedlitz-Neukirch: Dreißig Jahre
mungen, welche den Grundsatz auedrücklich an= Hreußischer Finanz= u. Steuerpolitik (1901);
erkennen. §. 73 der Einl.: „Ein jedes Mit--= Tröltsch in Conrads Handwörterbuch, Bd. I,
glied des Staates ist das Wohl und die Sicher= Suppl., S. 287 f.
heit des gemeinen Wesens nach dem Verhaält= * Vgl. G. Meyer, Verw. R., Bd. II, S.
nisse seines Standes und Vermögens zu unter- 187 ff., S. 261 ff., sowie die dort angeführte
stützen verpflichtet"“. §. 2, II, 14: „Dem Be= Literatur u. Gesetzgebung; auf die Besonderheiten
steuerungsrechte, als einem Hoheitsrechte des dieser Steuern ist in diesem Zusammenhange
Staates, sind alle diejenigen unterworfen, die für nicht einzugehen; s. auch v. Heckel in Conrads
ihre Personen, Vermögen oder Gewerbe den Handwörterb. Bd. I, Suppl., S. 306 ff.
Schutz des Staates geniessen"“. In der volks- Dies ist hinsichtlich der nach dem Gesete
wirtschaftlichen Literatur bestehen starke Meinungs= v. 30. Mai 1820 bestandenen Klassenstenerbe=
verschiedenheiten darüber, ob überhaupt, bezw. mit freiungen durch das G. v. 7. Dez. 1849 (G.
welchen Modifikationen die Staatsangehorigkeit
S., S. 436), und hinsichtlich der bis dabin be-
als Grundlage der Steuerpflicht zu betrachten sei. standenen Grundfcnetkefriinee und Bevor-
Auch die Gesetzgebungen stehen in dieser Frage auf zugungen durch das G. v. 21. Mai 1861 (6.
sehr verschiedenem Standpunkt; vgl. Eheberg in S., S. 253 ff.) geschchen-
Conrads Handwörterbuch, Bd. VI, S. 0 ff. 5* Die nach der früheren Gesetzgebung be-
* Vgl. über die ganzeReforms A. Wagner, standenen Steuerbefreiungen sind von zweierlei