Full text: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts. Zweiter Band. G bis N. (2)

  
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Geistliche 
  
von selbst war damit der Begriff des G. in innere 
und äußere Beziehung zu Besitz und Ausübung 
eines Amts für Lehrverkündigung und Sakra- 
mentsverwaltung gesetzt. Da, abgesehen von ein- 
zelnen Ausnahmen, wie z. B. bei Missionaren, die 
Ordination nicht absolut, sondern erst bei Ueber- 
tragung eines Amtes oder selbständiger kirchen- 
dienstlicher Verwendung in einem solchen erteilt 
wird, so ist nach allem Regelbegriff evangelischer 
Geistlicher erst derjenige, welchem die Ausübung 
des ministerium verbi in einem örtlich zugewie- 
senen Wirkungskreise übertragen ist. Dieser 
evangelisch-kirchenrechtliche Begriff liegt auch der 
so zu sagen erstmaligen staatlichen Legaldefinition 
im Preuß. ALN 1I1 11 &59 zu Grund. Hiernach 
sind G. „dicjenigen, welche bei einer christlichen. 
Kirchengemeine zum Unterricht in der Religion, 
zur Besorgung des Gottesdienstes und zur Ver- 
waltung der Sakramente bestellt sind“. 
Nach beiderlei Recht sind demnach G. diejenigen 
kirchlichen Amtsträger, welche spezifisch, wenn 
auch in verschichdenem Sinne, die potestas ordinis 
verwalten. Nicht unter den Regelbegriff fallen 
daher die kirchlichen Amtsträger auf den ver- 
schiedenen Stufen der hierarchia jurisdic- 
tionis. In der katholischen Kirche also nicht 
Bischoftum [Uund Papsttum. Verbinden sich zwar 
auf beiden Stufen, und zumal auf der des bischöf- 
lichen Ordo, Weihe- und Jurisdiktionsgewalt, so 
liegt doch der Schwerpunkt der amtlichen Tätig- 
keit in der äußeren und inneren Leitung der Kirche. 
Als katholische „Geistliche“ kommen deshalb vor- 
nehmlich in Betracht die Pfarrer, Kapläne oder 
Vikare, Kooperatoren, Sacellaue, Primissare und 
einfachen Hilfsgeistlichen (Hinschius, K R. 2, 321). 
Ebenso sscheiden in der evangelischen Kirche (#Il aus 
die Mitglieder der verschieden abgestuften kolle- 
gialen Behörden des Kirchenregiments, auch wenn 
sie, wie die geistlichen Konsistorial= und Ober- 
konsistorialräte die Ordination empfangen haben. 
Ihre staatsrechtliche Stellung ist analog derjenigen 
der unmittelbaren Staatsbeamten geregelt. Eben- 
so fallen nicht unter den Begriff die General= 
superintendenten, wohl aber nach alter Regel die 
Superintendenten oder Dekane. Zwar war ihr 
Amt ursprünglich als rein kirchenregimentliches 
Aufsichtsamt gedacht. Dieser Standpunkt ist aber 
nur vereinzelt aufrecht erhalten (Mecklenburg). 
In allen übrigen Landeskirchen bekleiden sic ein 
geistliches Amt. Evangelische „Geistliche“ sind 
hiernach die Superintendenten, Pfarrer und unter 
verschiedenen Bezeichnungen als gleichwertig vor- 
kommenden Prediger, Archidiakonen, Diakonen, 
sowie Pfarrvikare und selbständigen Hilfsorgane 
(vgl. dazu Zimmermann in Z f. KR. 14, 132). 
Endlich aber sind auch die im Dienst der inneren 
Mission zu Anstalten oder Vereinen beurlaubten 
ordinierten Kandidaten des geistlichen Standes 
(vgl. Mot zum Preuß. KG v. 16. 3. 10 über die 
Beanstandung der Lehre von G. f(. u. 8 10b) 
im technischen Sinne zu den landeskirchlichen 
G. zu zählen. Für beide Konfessionen zuletzt 
die Militärgeistlichen, wenn sie auch in einigem 
einem Sonderrecht unterliegen (7 Militärkirchen- 
wesen!j. 
II. Nach den deutschen Partikularrechten 
ist der Begriff des G. zumeist (Ausnahme z. B. 
Württemberg) auf Amtsverhältnisse in einer der 
christlichen RKirchengesellschaften beschränkt, und 
  
– 
— 
zwar in der Regel auf diejenigen, welche die 
Stellung von privilegierten Anstalten oder Kor- 
porationen des öffentlichen Rechts genießen, also 
auf die Kultusdiener der römisch-katholischen, in 
Preußen, Baden, Hessen auch der altkatholischen 
Kirche, sowie der unierten oder lutherischen und 
reformierten Landeskirchen (Preußen AL 
II 11 3#8 59, 66, 96; G v. 11. 5. 73 § 1I; Baden 
Gv. 9. 10. 60 5K5 7 f; 19. 2. 74 a 3; Hessen 
Gv. 23. 4. 75 à 1, 4; v. 5. 7. 87 à 1). Die deutsche 
Reichsgesetzgebung hat keinen bestimm- 
ten Begriff gebildet und wechselt in der Aus- 
drucksweise. Bald wird die Bezeichnung G., bald 
Rcligionsdiener, bald beides nebeneinander ge- 
braucht (St B 5# 130a, 196, 338; Personenstd.G 
# 3, 67 vb. BS6B EG a 46, III; GVG 8 34; 
3PO g8 383, 811, 850; SEtPO g8 52, 486; BGB 
#s 411, 570, 1784 u. a. and. O.). Wo der Sinn 
der einzelnen Gesetzesstelle nichts anderes ergibt, 
ist anzunehmen, daß der Ausdruck G. sich nicht 
auf Amtsträger in religiösen nicht rechtsfähigen 
Vereinen und in Religionsgesellschaften mit bloß 
privatrechtlicher Korporationsqualität erstreckt, daß 
dagegen die Bezeichnung „Religionsdiener" auch 
die G. der öffentlichen Kirchengesellschaften mit 
umfaßt. In der Reichsmilitärgesetzgebung findet 
sich der Begriff in verschiedener Weise gebunden: 
im RMilG v. 2. 5. 74 65 ist er auf Personen, 
„welche ein geistliches Amt in einer mit Korpo- 
rationsrechten innerhalb des Bundesgebietes be- 
stehenden Religionsgesellschaft bekleiden“ be- 
schränkt; in dem R betr. Aenderungen der Wehr- 
pflicht v. 11. 2. 88 àa II & 13 findet er sich auf Per- 
sonen bezogen, „welche auf Grund der Ordination 
oder der Priesterweihe dem geistlichen Stande 
angehören“; im R betr. die Wehrpflicht der G. 
v. 8. 2. 90 endlich ist er auf Militärpflichtige 
römisch-katholischer Konfession, welche „die Sub- 
diakonatsweihe empfangen haben“, ausgedehnt. 
I. Staatsgesetzliche Borschriften über die An- 
stellung der Geistlichen und die Ausübung kirch- 
licher Amtshandlungen 
A. Katholische Kirche 
##2. Im allgemeinen. Mit Rücksicht auf den 
weitgehenden Einfluß, welchen die G. der christ- 
lichen Kirchen auf die Bevölkerung ausüben, 
haben die modernen Staatsgesetzgebungen eine 
Reihe von Garantien geschaffen, welche den Zweck 
verfolgen, eine die Interessen des Staates und 
die Aufrechterhaltung des religiösen Friedens 
gefährdende Ausübung der geistlichen Amts- 
tätigkeit möglichst zu verhindern. Sic unterschei- 
den sich aber hinsichtlich des Umfanges, für den 
sie diese Garantien festsetzen. Sie verlangen die 
nachstehend erwähnten Erfordernisse teils für den 
Erwerb der Kirchenämter überhaupt (württ. 
G v. 30. 1. 62 a 3; bad. G. v P. 10. 60 89), 
teils für solche, welche mit G. zu besetzen sind 
(hess. Gv. 5. 7. 87 a 1), teils für den Erwerb 
von Kirchenpfründen (bayer. Entschließung 
v. 8. 4. 52 Nr. 8, Min E v. 20. 11. 73 Nr. 11 1), 
teils bloß für den Erwerb von geistlichen Aemtern. 
(preuß. G v. 11. 5. 73 81, säch s. G v. 23. 
8. 76 8 19) und zwar in Preußen, Hessen 
und Sachsen, gleichviel, ob das betreffende 
Amt dauernd oder widerruflich übertragen wird
	        
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