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(Nr. 10210.) Gesetz über die Fürsorgeerziehung Minderjähriger. Vom 2. Juli 1900.
Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden König von Preußen r.
verordnen mit Zustimmung beider Häuser des Landtags für den Umfang der
Monarchie, was folgt:
8. 1.
Ein Minderjähriger, welcher das achtzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet
hat, kann der Fürsorgeerziehung überwiesen werden:
1. wenn die Voraussetzungen des §K. 1666 oder des F. 1838 des Bürger-
lichen Gesezbuchs vorliegen und die Fürsorgeerziehung erforderlich ist,
um die Verwahrlosung des Minderjährigen zu verhüten;
4. wenn der Minderjährige eine strafbare Handlung begangen hat, wegen
der er in Anbetracht seines jugendlichen Alters strafrechtlich nicht ver-
folgt werden kann, und die Hürsorgerzichung mit Rücksicht auf die
Beschaffenheit der Handlung, die Persönlichkeit der Eltern oder sonstigen
Erzieher und die übrigen Lebensverhältnisse zur Verhütung weiterer
fittlicher Verwahrlosung des Minderjährigen erforderlich ist;
. wenn die Fürsorgeerziehung außer diesen Fällen wegen Unzulänglichkeit
der erziehlichen Einwirkung der Eltern oder sonstigen Erzleher oder der
Schule zur Verhütung des völligen sittlichen Verderbens des Minder-
jährigen nothwendig ist.
Die Fürsorgeerziehung erfolgt unter öffentlicher Aufsicht und auf öffentliche
Kosten in einer geeigneten Familie oder in einer Erzichungs- oder Besserungs-
anstalt.
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S. 3.
Die Unterbringung zur Fürsorgeerziehung erfolgt, nachdem das Vormund-
schaftsgericht durch #ephras das Vorhandensein der Voraussetzungen des §. 1
umter Bezeichnung der für erwiesen erachteten Thatsachen festgestellt und die Unter-
bringung angeordnet hat.
.4.
Das Vormundschaftsgericht beschließt von Amtswegen oder auf Antrag.
Zur Stellung des Antrags sind berechtigt und verpflichtet:
der Landrath, in den Hohenzollernschen Landen der Oberamtmann, in
Städten mit mehr als 10 000 Einwohnern sowie in den nach 8. 28
der Kreisordnung für die Provinz Hannover vom 6. Mai 1884 Gesetz
S S. 181) denselben gleichgestellten Städten auch der Gemeinde-
vorstand,
in Stadtkreisen der Gemeindevorstand und der Vorsteher der König-
lichen Polizeibehärde.
Vor der Beschlußfassung soll das Vormundschaftsgericht, soweit dies ohne
erhebliche Schwierigkeit geschehen kann, die Eltern, den gesetzlichen Vertreter des