Full text: Der neue Kurs.

Anfang Oktober war er wieder in Berlin, am 5. Oktober hatte 
er Vortrag beim Kaiser in Hubertusstock. Von der Aussprache 
kehrte er in tiefernster Stimmung, jedoch nicht ohne alle Hoff- 
nung, zurück. Sein royalistisches Herz beklagte es tief, daß der 
König und Kaiser manche Dinge nicht so sehen könne, wie sie wirk- 
lich sind. Er wolle immer das Beste, es sei aber schwer, ihn vor 
Frrtümern zu schützen, so, wenn er glaube, durch seine scharfe Ver- 
mahnung in Königsberg die ostpreußischen Konservativen wieder 
zur Ordnung gebracht und durch seinen Kampfaufruf für Religion 
und Sitte die Kreuzzeitung und die Bismarck-Blätter für die Re- 
gierung gewonnen zu haben. Für den Monarchen sei es auch schwer, 
eine genaue Vorstellung davon zu haben, wie tief Ausnahmegesetze 
die breiten Massen des Volkes erregen, und was im Reichstage 
durchzusetzen sei und was nicht. 
In der Aussprache vom §. Oktober hatte sich der Kanzler 
bereit erklärt, auf dem Boden des gemeinen Rechtes dem Reichs- 
tage Vorschläge zu machen, dagegen weitergehende Maßregeln wider- 
raten, die sich nur rechtfertigen ließen, wenn man das Reich in 
Gefahr erkläre. Würde sie der Reichstag, wie vorauszusehen, ab- 
lehnen, so müßte er aufgelöst werden, einmal, zweimal, und dann 
bleibe nichts übrig als der Staatsstreich mit Beseitigung des gel- 
tenden Wahlrechts, was viel größere Gefahren, äußere und innere, 
heraufbeschwören würde. Auf das wiederholte Angebot Caprivis, 
von seinem Posten zurückzutreten, hatte der Kaiser geantwortet, 
daß er sich nicht von ihm zu trennen wünsche, und dabei auch auf 
die auswärtige Lage — der Tod des Zaren Aleranders III. stand 
bevor — Bezug genommen. Die Hoffnung, die Caprivi von Huber- 
tusstock zurückgebracht hatte, beruhte auf der wiederholt ge- 
machten Beobachtung, daß der Kaiser sachlichs Gründe hinterher 
sorgfältig überlegte und sich ihnen trotz anfänglichen Widerstre- 
bens zugänglich erwies. 
Die Sorge Caprivis, daß ein scharfes Vorgehen gegen die 
Sozialdemokratie, gewollt oder nicht gewollt, letzten Endes zu einem 
Staatsstreich führen würde, war nicht grundlos oder übertrieben. 
Es lagen zuverlässige Nachrichten vor, nach denen schon in der 
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