Full text: Der neue Kurs.

gewerkschaftlichen und politischen Klasseninteressen durch den Ar- 
beitgeber nicht behindert werden dürfe. 
Um so gefährlicher für den Frieden im Innern des Reichs 
mußten neue Versuche sein, die Bewegung mit Gewaltmaßregeln 
zu unterdrücken. Die Spannungen waren bereits so stark, daß 
sie nicht weiter gesteigert werden konnten, ohne eine Explosion her- 
vorzubringen. Mit dem Reichstag, so wie er war, die Sozialdemo- 
kratie wieder unter ein Ausnahmegesetz zu stellen, war ausgeschlossen. 
Nicht einmal die sogenannte kleine Umsturzvorlage, die der neue 
Kanzler Fürst Hohenlohe von seinem Vorgänger übernahm, konnte 
im Reichstag eine Mehrheit erlangen, obgleich sie im wesentlichen 
nur das gemeine Strafrecht gegen öffentliche Anpreisung von Ver- 
brechen und gegen die Aufforderung von Personen des Soldaten- 
standes zur Verweigerung des Gehorsams verschärfen wollte. Zwei 
Jahre darauf wurde der Versuch gemacht, das preußische Ver- 
sammlungs= und Vereinsrecht zu reformieren, d. h. die Befugnisse 
der Polizei zur Auflösung von Versammlungen und Vereinen 
zu erweitern. Das Abgeordnetenhaus strich die wichtigsten Vor- 
schriften. Das Herrenhaus machte dagegen aus dem Entwurf, 
der sich auf dem Boden des gemeinen Rechts hielt, ein ausdrück- 
liches Sondergesetz gegen die Sozialdemokratie. Das Abgeordne- 
tenhaus lehnte darauf die Vorlage mit 200 gegen 205 Stimmen 
ab. Die Mehrheit bestand aus Zentrum, Nationalliberalen und 
Freisinnigen. Also sogar das aus Klassenwahlen hervorgegangene 
preußische Parlament war für ein Ausnahmegesetz nicht zu ge- 
winnen. 
Wie dachte man sich den Staatsstreich? Konstantin Rößler 
nannte im Oktober 1894 in einer Broschüre die Diktatur die un- 
erläßliche Forderung des Augenblicks. Der Kaiser sollte den Bun- 
desrat veranlassen, auf drei Jahre die gesetzgebende Gewalt allein 
an sich zu nehmen. Die Schlesische Zeitung, die sich unter den kon- 
servativen Blättern sonst durch maßvolles ruhiges Urteil auszeich- 
nete, trat im Mai 1895 für die Notwendigkeit eines Verfassungs- 
bruches ein. Die deutschen Fürsten sollten sich, so wurde vorge- 
schlagen, zu einem neuen Bunde auf eine Stunde vereinigen, um 
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