Full text: Der neue Kurs.

dazu, um mitten in einem solchen Wirrsal widriger Umstände 
ein so großes Werk zu beginnen, und nur ein ganzer Mann mit 
überlegener Willens- und Überzeugungskraft konnte es vollenden. 
Das war Caprivi. 
Der Entwurf war von den militärischen Stellen so gründlich 
als möglich vorbereitet worden. Technisches, politisches, statistisches, 
historisches Material stand in Fülle zur Verfügung. Zunächst wurde 
nur ein Teil davon ausgegeben, das übrige für die Beratung im 
Reichstage und zur Bearbeitung der öffentlichen Meinung zurück— 
gehalten. Nach Veröffentlichung der Vorlage lieferte die Presse 
ungefähr folgendes Bild der Stimmung im Lande: Was den einen 
an ihr gefiel, war den anderen Argernis: Hier feierte man die 
zweijährige Dienstzeit der Fußtruppen, wollte aber nicht den mili- 
tärisch notwendigen Ausgleich dafür gewähren, dort, wo man einer 
Verstärkung der Wehrkraft geneigt war, hegte man die stärksten 
Bedenken gegen die Beseitigung der dreijährigen Dienstzeit; die 
einen hätten gewünscht, daß die Regierung die Erleichterung der 
persönlichen Dienstlast nicht sofort angeboten, sondern als Tausch- 
objekt in Reserve gehalten hätte, die anderen tadelten, daß die 
Regierung von den Gegenforderungen nichts nachlassen wollte; 
auf der einen Seite sollte es richtiger gewesen sein, überhaupt noch 
keine Vorschläge zur finanziellen Deckung zu machen, auf der 
anderen wurde verlangt, daß erst die Deckungsfrage und dann erst 
die Militärfrage erledigt werden müsse. Fast allen aber erschien 
es zweifelhaft, ob eine so durchgreifende Neuorganisation des 
deutschen Heeres durch die militärisch-politische Lage in Europa 
geboten sei. Man war daran gewöhnt, daß das deutsche Heer 
seit 1870 Schritt für Schritt, entsprechend den Rüstungen der 
Nachbarn, der JZahl nach vermehrt worden war, und hHielt die 
inneren Einrichtungen unseres Heeres für unübertrefflich. Kriegs- 
rummel irgendwelcher Art als Druckmittel für die verlangten Mehr- 
ausgaben gab es nicht. Über die Schwächen der bestehenden Or- 
ganisation, Mängel an Friedensstämmen, daraus folgende Zersetzung 
der Truppen nach der Mobilmachung, aus Ersparnisgründen ein- 
geführte Notbehelfe, wie Vermehrung der Dispositionsurlauber und 
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