Full text: Handbuch der Politik.Dritter Band. (3)

    
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Adolf Günther, Arbeiter-, Angestellten- und Arbeitgeber-Organisationen. 
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Übrigens wäre es irrtümlich, die wirtschaftsfriedliche Arbeiterbewegung als eine durchaus 
einheitliche anzusehen. Abgesehen von dem wohl mehr organısatorischen Gegensatze, der zwischen 
Werkvereinen und der — nicht auf bestimmte Werke beschränkten — vaterländischen Richtung 
im engern Sinn besteht, mussten auch hier die ‚Berliner‘ eine scharfe Sonderstellung einnehmen. 
Sie kommt besondersdem Streik gegenüber zum Ausdruck und bedeutet hier einen sehr tiefgehenden 
Greg: nsatz gegen die in Essen residierende Richtung. Freilich steht auch diese letztere nicht auf 
dem Boden absoluter Ablehnung des Streiks, was ja wohl für eine Arbeiterbewegung auch nicht 
möglich ist. Aber die Ansammlung von Streikkassen ıst statutenmässig ausgeschlossen und ein 
gewaltsames Durchsetzen von Forderungen damit von vornherein ausgeschlossen. 
Über Ziel und Inhalt der Organisationspolitik ist bei dieser Vielgestaltigkeit 
kaum etwas Allgemeines zu sagen. Auf grundliegende Gegensätze ist eben hingewiesen worden. 
Vielleicht ist es aber wichtig, noch ein Moment hervorzuheben, das für die gesamte Gewerk- 
schaftsbewegung bedeutsam werden kann: Auf das Überwuchern zünftiger Forderungen. 
Es liegt sehr nahe, dass man eine Beeinflussung des Arbeitsmarktes, die selbstverständlich stets eine 
Hauptaufgabe der Bewegung bleibt, nicht nur auf dem Wege der Stellenvermittlung, der Stellen- 
losenunterstützung, des Abschubs jüngerer und lediger Kollegen unter Gewährung von Reise- und 
Umzugsunterstützung versucht, sondern dass man auch den Zuzug zum Gewerbe hintanzuhalten 
bemüht ist. Die Erfolge, dıe z. B. das Buchdruckgewerbe durch das Einvernehmen von Prinzipalen 
und Gehilfen, insbesondere durch das Festlegen der zulässigen Lehrlingszahl, zu erreichen verstand, 
sind ebenso zu würdigen, wie die systematische Arbeit der englischen Trade-unions in dieser Richtung 
oder wie die auf Ausschluss der Einwanderung abzielenden Bemühungen der australischen und (in 
geringerem Masse) amerikanischen Gewerkschaiten. Dass aber in einem Abschliessen der gut 
lohnenden Berufe von der grossen Masse für diese letzten die Gefahr einer Herabdrückung ihrer 
Arbeitsverhältnisse, einer Proletarisierung gegeben ist, liegt nahe und wird heuteauchauf Seite der 
Gewerkschaften klar erkannt. Auch die schwierigen Grenzstreitigkeiten zwischen den Berufen, 
die oftden Abschluss von Tarifverträgen begleiteten, deuten auftiefgehendeDifferenzierungs- 
prozesse ın der Arbeiterbewegung hin, die jedenfalls den Unterschied zwischen qualifizierten 
und unqualızierten Arbeitern stark hervortreten lassen und deren Entwicklung noch nicht abzu- 
sehen ıst. Eine ganz gegensätzliche Entwicklung zeigt aber gerade die oben gewürdigte jüngste 
Streikbewegung in England, wo sich gelernte und ungelernte Arbeiter, ganz im Widerspruch zu 
bewährten Grundsätzen der Trade-uniıons, dıe Hand gereicht haben, zweifelsohne unter dem 
Druck politischer Gedankengänge, die damit in die englische Gewerkschaftspolitik Eingang 
finden. Mit aus dieser Erkenntnis heraus mag in Deutschland jene folgenschwere Neubildung 
erklärt werden, die zur Bildung von sogenannten Industrieverbänden aus den älteren Berufs- 
vereinen heraus geführt hat. Freilich sind hierfür auch andere Beweggründe entscheidend 
gewesen, so technische Gesichtspunkte, weiter der Wunsch der Gewerkschaften, eine gemein- 
same Front aller Arbeiter eines Werkes, gleichviel ob gelernter oder ungelernter, herbeizuführen, 
gleichzeitig das Arbeitslosenrisiko auf breiteste Schultern zu verteilen. Der Metall, Holz-, 
Transport- und Fabrikarbeiterverband sind — mit manchen Abweichungen im einzelnen — charak- 
terıstische Beispiele solcher Industrieverbände, die gänzlich neue Gesichtspunkte in das Organi- 
sationsleben einführen, hinsichtlich der Einzelfragen aber noch zahlreiche ungelöste Probleme bieten. 
In statistischer Beziehung ergibt sich das Folgende, wobei selbstverständlich nur die aller- 
wichtigsten Gesichtspunkte vorgekehrt werden können: 
l. Freie Gewerkschaften. 
1905: 1 344 803 Mitglieder, darunter 74411 Frauen 
1906: 1 689 709 ‚, , 118 908 
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
   
    
) 
  
  
1907: 1 865 506 ‚> , 156 929 ,, 
1908: 1 851 731 ‚> ‚> 138 443  ,, 
1909: l 852 667 ‚, ‚> 133 88 ,„ 
    
    
  
  
  
1910: 2 017 298 »» > 161512 $,, 
1911: 2 320 986 ‚; y 191 932  ,, 
1912: 2 550 390 ‚; ‚; 216 462 $, 
1%*
	        
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